28.5.15

Es waren immer die Frauen, die mein Leben tiefgehend beeinflussten: Die zunächst nicht anwesende Mutter, die dominante Oma, die verhuschten Tanten, die eklige Pflegemutter, die Freundinnen, die Weiber an der Uni, die Frauen mit Geschichten, die Altvorderen, die Geliebten, die Gehassten, die Wegbegleiterinnen. Männer kamen vor, natürlich. Doch sie alle mussten sich messen an dem Großvater und dem geträumten Vaterbild. Bestanden hat da kaum einer. Es bleibt eine Handvoll wertvoll. Doch die Frauen sind verwoben in mir.  

„Viele Eltern glauben, sie koennten ihre Kinder zu Verschwiegenheit, Takt, Ehrlichkeit und Vertrauen erziehen, waehrend sie sich zanken, die Kinder anluegen, ihre Briefe durchschnueffeln und ueber ihre innersten Angelegenheiten zu anderen reden.“ (Oswald Bumke)


Kinder lernen fast ausschließlich durch Vorbild. So einfach ist das mit der „Erziehung“. Erziehe dich selbst, jeden Tag aufs Neue, dann klappt das auch mit den Kindern.  

24.5.15

(Auszug)

Das Warten, immer dieses Warten. Es war das Schlimmste. Meistens wusste sie dann schon gar nicht mehr, wofür die Schläge eigentlich gedacht waren. Das Warten. Schlimmer als jeder körperliche Schmerz. Das Warten. Eingebrannt in ihre Seele. Ticktack, ticktack. Mit jeder Minute zerfloss das Warum. Es blieb nur das Warten. Diese anschäumende Verzweiflung. Diese Gewissheit, dass die Schläge kommen werden. Irgendwann. Warten. Ausgeliefert. Andere Tätigkeiten erschienen wichtiger als ihre Bestrafung. Wichtiger als ihr Vergehen. Wichtiger als sie. Warten. Immer kleiner wurde sie. Sie war so unbedeutend. So nichtig. Warten. Fast dankbar ergab sie sich in den Schmerz des Stockes. Er setzte einen Schlusspunkt. Das Warten verblasste.

Nach vielen, vielen Jahren erst bemerkte sie die Untermieterin. Eine alte Bekannte war wohl nie bei ihr ausgezogen. Die Warterei trinkt heut noch ab und an Käffchen mit ihr. Sie kommt immer zu früh. Und die anderen zu spät. Sie wartet. Ob man sie vergessen hat? Ob sie es missverstanden hat? Tauchend nach ihrer Schuld bleiben ihre Hände immer noch leer. Sie wartet. Schmerzhaft. Sucht in sich nach ihrem erwachsenen Zorn. Manchmal plätschert er blinzelnd nach oben. Verläuft sich aber in fröhliche Dankbarkeit, wenn das Warten ein Ende hat.


(im Alter von 0 bis 7 Jahre, denn danach gab es die Schlägerin nicht mehr)


16.5.15

Lebenszeichen
Kurzfassung: Ich lebe noch. Irgendwie. Krankenhaus war eine traumatische Erfahrung. Sonntags der Sturz, freitags sollte die OP sein. Schmerzhafte Zwischentage. Am Freitag dann: Kein Bett frei, von 6.15h bis 13h im Warteraum gesessen, nüchtern seit dem Abend vorher. Dann für eine Stunde ein Bett, um dann mitgeteilt zu bekommen, dass ich wieder nach Hause kann, da kein OP-Raum frei sei. Montags dann OP. Narkose Nachwirkungen elendig. Mittwochvormittag Entlassung, weil Bett gebraucht wurde, obwohl ich mehrmals sagte, dass ich noch nicht gehen will, da starke Schmerzen und noch etwas überfordert. Interessierte nicht weiter. Entlassung. Zum Glück steckte mir die Schwester heimlich Schmerztabletten zu. Auf der Station gab es übrigens nur drei Toiletten, für Patienten und Besucher. Auf dem Flur. Ich war mit all dem völlig überfordert und wie paralysiert. Konnte mich nicht bestimmend artikulieren. Seitdem zuhause mit der Auflage für die kommenden 8 Wochen das Bein nicht zu belasten. Humpelnd hüpfende  Wanderungen zwischen Schreibtisch und Bett. Montag jetzt Fäden gezogen beim Hausarzt. Die Angst vor der Treppe zumindest mal angegangen. Ab nächster Woche Physiotherapie.

Wie es mir nun geht? Kann ich nicht beschreiben. Ich drücke weg und beame mich über Bücher lesen raus aus dem realen Geschehen. Manchmal weine ich, ohne recht zu wissen, über was eigentlich gerade. Ayda und Peter helfen mir in Alltagssachen, meine Nachbarin kommt regelmäßig zu Besuch. Aber, irgendwie ist das alles in meiner Wahrnehmung wie in Watte gepackt. Ja, gute Metapher: Ich fühle mich wie in einem Kokon, innen wie außen. Lebend, ja, aber nicht lebendig. Widerlich.

14.5.15

VatertagsGedanken: Als ich so um die neunzehn war, änderte sich die Volljährigkeit auf 18 Jahre und das Jugendamt teilte mir höchst unsensibel beiläufig mit, dass mein Vater in der DDR lebe und seit meiner Geburt regelmäßig Unterhalt ans Amt überwiesen habe. Von Seiten meiner Familie hatte ich bis dato nur schwammige Auskünfte alá „Den gibt es nicht, und überhaupt, lass die Fragerei.“ Der nicht vorhandene Vater war von klein auf für mich die Projektionsfläche all meiner kindlich verquerten Sehnsüchte und sporadischen Errettungsphantasien gewesen. Jetzt gab es ihn auf einmal wirklich. Als Reaktion auf diese neuen Informationen habe ich meine Mutter und meinen Großvater erstmal schreiend rund gemacht und bin nach Italien abgehauen. Von dort aus habe ich die aktuelle Adresse meines Vaters herausgefunden und ihm geschrieben. Was ein Akt. Und bin dann zu ihm gefahren. Viele Gespräche mit ihm, meinen Großeltern dort, seiner Frau, meinen sechs Halbgeschwistern. Alles liebe, freundliche Menschen. Das Angebot dort zu bleiben nach reiflicher Überlegung mit folgendem Resümee abgelehnt: Zeugung alleine macht noch keinen Vater und Blutsbande keine Familie und Tochtergefühle kamen bei mir nicht mehr auf.





Heute: Der nicht anwesende Vater war prägend, ob ich will oder nicht. Kein anderer Mann im begleitenden Familienverbund und auch nicht der Erzeuger konnten dieses schwarze Loch jemals füllen. 

10.5.15

So ganz richtig kann ich mir, die ich Mitte der fünfziger Jahre hier geboren wurde und aufgewachsen und alt geworden bin ohne jemals in meiner Heimat von Krieg, Gewalt, Hunger und totaler Hoffnungslosigkeit bedroht worden zu sein, gar nicht ein Szenario vorstellen, ich mein, so richtig vorstellen, dass mich um des Überlebens willen dazu zwänge mich mit meinen Kindern auf eine Reise zu begeben, deren Ausgang vielleicht auch der Tod sein könnte. Welch unsäglicher Schrecken und Wahnsinn müsste um mich drum herum herrschen, dass ich denken könnte, die klitzekleine Chance des Überlebens auf der Flucht sei doch noch größer, als die Möglichkeit in meiner Heimat zu überleben. Welch abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit müsste in mir toben. Allein die Vorstellung macht mir ein innerliches Zittern. Und doch, ja, ich würde nach jedem Strohhalm greifen. Für meine Kinder. Ja, das würde ich.  
Man muss mutig sein, wenn man der/die sein will, der/die man ist. 

"Das ist eigentlich das Schrecklichste, was ich später aus diesem Leben mitnehmen werde: Dass es dafür immer noch und schon wieder Mut! braucht."

"Frau Müller, da Sie ja nicht vorhaben uns in den nächsten Tagen zu verlassen, könnten Sie doch etwas hoffnungsvoller klingen!"

"Ja, könnte ich. Doch wenn ich mich so umschaue und mich an das letzte halbe Jahrhundert erinnere, dann, ja dann schwebt mein Optimismus zumindest nicht mehr so leicht wie ein Blumenflöckchen vor mir her. Und es betrifft ja mittlerweile wieder fast alle Lebensbereiche: Du bist anders! Du bist nicht wie wir! Du bist nicht so, wie wir dich haben und gebrauchen wollen! Du bist dies und das und jenes nicht und vor und in allem eben nicht richtig. Das greift doch weltweit wieder um sich wie ein viraler Infekt. Und alle Schubladen verwischen sich an diesem Punkte und bilden eine gemeinsame Lade, egal ob links, rechts, oben, unten. In diesem Punkte sind sie sich einig: Du, genau du, passt nicht rein in unsere hübsch kuschelige Kommode."

„Aber, aber, Frau Müller, es gibt doch auch andere Strömungen und viele, viele Menschen weltweit, die die Schubladereien hinter sich gelassen haben!“

„Ja, die gibt es. Aber, sie wandern auf dünnem Eis und sind bisher nicht in der Tiefe der Gesellschaften verwurzelt. Das sind so zarte Pflänzchen. So zerbrechlich und fragil. Halten sie die kommenden Stürme von Gewalt und giergeifernder Zerstörungswut denn stand?“

„Ach, das klingt mir viel zu negativ, Frau Müller.“


„Soll es aber eigentlich nicht. Nur realistischer als noch vor Jahren. Und die Schlussfolgerung ist ja auch nicht aufzugeben, sondern gemeinsam noch intensiver mit Herzblut zu düngen und zu gießen, auf dass aus den kleinen Pflänzchen starke und wehrhafte Pflanzen werden.“


Muttertag? Ich hatte nie einen Bezug zu diesem Tag. Mein Großvater sagte immer: "Solange Mütter elendig bei der Geburt sterben und wenn sie nicht sterben, ihre Kinder verhungern auf der Welt, oder Kanonenfutter sind, solange gibt es da nix zu feiern. Ne prima Geschäftsidee, sonst nix. Feiere deine Mutter jeden Tag, und gut ist es." 

Und ich heute? Wenn ich das Geblümel rundum sehe am heutigen Tag, dann denk ich an die Mütter mit ihren Kindern, die wir elendig und schamlos im Mittelmeer verrecken lassen. Ne, tut mir leid, in diesem Gedenktag verstecken sich mir zu viele widerliche Lügen. Kann ich nix mit anfangen.

8.5.15

5.5.15

„Ich arbeite so viel, denn mein Kind soll es später mal besser haben als ich es hatte!“

„Ja, das verstehe ich. Du arbeitest jetzt so viel und so viele Stunden, damit es dem kleinen Kerl später Mal besser geht, als es dir als kleines Kind erginge.“

„Ja, genau deshalb!“

„Erzähl mir von dem kleinen Kind, dem es damals so gar nicht gut ging.“

„Wir waren sehr arm und hatten nur eine kleine Wohnung. Mein Vater hat drüben in der Fabrik gearbeitet und meine Mutter ging putzen. Sonst hätte es nicht gereicht. Ich war dann oft alleine zu Hause und wenn meine Eltern da waren, dann waren sie meistens müde und erschöpft. Es gab auch oft Streit. Ich habe mich dann ganz tief unterm Bett versteckt und leise geweint. Es ging mir nicht gut“

„Es ging dem kleinen Kind nicht gut. Was denkst du denn, was hätte es sich denn mehr als alles in der Welt gewünscht? Was hätte ihm denn geholfen glücklicher zu sein?“

„Ach, das ist ganz einfach: Mehr Zeit mit den Eltern. Mehr zusammen spielen und lachen. Geschichten erzählen, mittags ab und an zusammen essen, spazieren gehen. Einfach viel, viel mehr Zeit zusammen sein.“


„Ja, das verstehe ich. Und du arbeitest jetzt so viel und so viele Stunden, damit es dem kleinen Kerl später Mal besser geht, als es dir als kleines Kind erginge.“

2.5.15

„Mich dünkt der Traum eine Schutzwehr gegen die Regelmäßigkeit und Gewöhnlichkeit des Lebens, eine freie Erholung der gebundenen Phantasie wo sie … die beständige Ernsthaftigkeit des erwachsenen Menschen durch ein fröhliches Kinderspiel unterbricht. Ohne die Träume würden wir gewiß früher alt.“

(Novalis, 2. Mai 1772- 25. März 1801)

Jesses, wie habe ich als pubertierendes Mädchen gebadet in seinen Texten und denen der anderen Romantiker. E.T.A. Hoffmann, Wilhelm Hauff, Friedrich Rückert, John Keats, Poe, Byron, Walter Scott, Brentano, Uhland, Eichendorff, und, und … die Liste ist ja ewig lang und überall liegen ihre Werke irgendwo in mir rum und ab und an tauchen sie auf und beglücken mich noch immer. Ohne sie hätte ich die Schönheiten der Klassik und der darauf folgenden literarischen Spielarten gar nicht verstanden bzw. goutieren können. Ich finde es schade, dass all dies nicht voller Begeisterung an die nachfolgenden Generationen weiter gegeben wird. Ich hatte Glück mit meinen mich begleitenden Erwachsenen, sowohl privat als auch im schulischen Bereich. Sie steckten mich an mit ihrer Freude und ihren Unvoreingenommenheiten. Dafür bin ich dankbar. Sie machten mich reich über alles Materielle hinweg.