12.12.12


...

Wieso hat es so lange gedauert, nach dem letzten Eintrag in den „Tagebüchern des Nichts“, diese Beziehung zu beenden?
„Ich wollte nicht in eine Opferrolle fallen und ich wollte mich nicht als Arschloch verhalten. Das brauchte seine Zeit. So eine Beziehung, in dieser Form, geht tief, dockt an viele unterschiedliche innere Systeme und sehr alte Muster an. Ich wollte gesund und heil daraus hervor gehen, meine Anteile akzeptieren und integrieren und, auch wenn es sich unverständlich anhört, mir selbst vergeben. Ein widersprüchlicher und Energie raubender Prozess des Sortierens, Verstehens und der ehrlichen Selbsterkenntnis. Drei Schritte vor, zwei zurück, ein Tänzchen im Kreis, trippeln auf der Stelle, neuer Anlauf. Wie gesagt, sowas braucht Zeit.
Bereuen Sie etwas?
Nöh, so ganz und gar nicht! Ich habe eine Menge gelernt. Über mich, Beziehungen, die Welt. Vielleicht gibt es einfachere Wege zu solchen Erkenntnissen. Dieser war halt meiner und damit der einzig richtige für mich.
Würden Sie sich wieder in eine solche Beziehung begeben?
Heute, nach all diesen Erfahrungen? Ne, sagte ich doch, da ist eine Menge an Analyse und Aufarbeitung geschehen, Ich bin nicht mehr dieselbe Frau wie vor acht Jahren, also werden Beziehungen nun unter völlig anderen Bedingungen von mir eingegangen. Das ist doch selbstverständlich.

...
http://www.amazon.de/Die-Tageb%C3%BCcher-Nichts-Garwall/dp/3981384113/ref=sr_1_8?ie=UTF8&qid=1355313312&sr=8-8

9.12.12


Jesses, was für ein Dialog:
 „Da du Fb ja auch als Therapeutin nutzt, ist es da nicht kontraproduktiv solche, doch recht hässlichen Fotos, von dir hier einzustellen?“  
„Ähm, entschuldige, aber ich bin hier weder auf nem Catwalk noch bewerbe ich mich um einen Modelvertrag, noch macht sich meine Kompetenz an Äußerlichkeiten fest, noch leide ich an mangelndem Selbstbewusstsein und find mich in jedem Outfit und jedweder Kameraeinstellung ausgesprochen schön. Um was geht es dir eigentlich?“
„Ich wollte dir nur helfen und dich darauf hinweisen, dass du so potentielle Kunden eher verschreckst.“

*denkdenkdenk

„Sag mal, hättest du gerne einen Termin bei mir und traust dich net direkt zu fragen? Da du ja schon mit mir schreibst, also trotz Verschreckung ja noch tippen kannst, könntest du mich jetzt ja auch mal anrufen, oder?“
 „Jetzt?“
“Ja klar, jetzt!“

(Wiedergabe erlaubt. Alles Weitere unterliegt der Schweigepflicht *blinzel)

Und wenn Madame dann mit verbissenem Gesicht und knirschendem Kiefer dem Hund folgend durch die Felder stampft, Verfluchungen vor sich hinmurmelnd, die die Hölle vor Scham zu Eis gefrieren lassen könnten, der Wind pfeift  und der Bauer aus der Scheune mit einem herzlichen "Grüß Gott, Frau Müller, wunderbarer Scheißwettertag heut, gell!" grüßt, die Brille beschlägt und sie dann über nen gefroren Apfel auf den Hintern kullert - dann, ja dann muss Madame doch Kichern und schwupp, is die gute Laune wieder da.

8.12.12

"Nur die wenigsten katholischen Priester, die sich sexuell an Minderjährigen vergehen, sind im klinischen Sinn pädophil. Das ist das Ergebnis einer Studie des forensischen Psychiaters Norbert Leygraf (Duisburg) im Auftrag der deutschen Bischöfe. Es gebe im Vergleich zwischen Klerus und der männlichen Bevölkerung „keine bedeutsamen Unterschiede“, sagte Leygraf am Freitag in Trier. Die weitaus meisten sexuellen Übergriffe von Priestern geschähen aus Gründen, die sich „dem normalpsychologischen Bereich zuordnen lassen“.


Was ich ja net kapiere: Wieso meint die Kirche, das sei ein für sie positives Ergebnis? Ich finde es viel gruseliger, dass die Mehrheit der Täter dies nicht aufgrund einer Veranlagung ist, die sie evtl. nicht steuern können. Sie sind völlig "normal" (wer auch immer diese Normalität wie definiert) und tun es trotzdem. Was muss das für eine Geisteshaltung, was für ein Umfeld, was für ein Menschenbild und Selbstbild denn dann sein? Das macht mir einen Schrecken.
Mal unabhängig von der Institution, dass was diesen Untersuchungsbericht so wichtigmacht, ist, dass er wieder mal bezeugt, dass es eben nicht die Pädophilen sind, die das Grow der Kinderschänder darstellt. Denn darum geht es nicht und ging es nie. Gewalt gegen Kinder ist immer ein Machtmissbrauch, findet überwiegend im näheren sozialen Umfeld und durch Menschen des Vertrauens statt, wiederholt sich und nutzt und kreiert bestimmte Strukturen mit Schweigen, Angst und Schuld. Machtmissbrauch bracht nämlich eines: Abhängigkeit. Nur so funktioniert er. Deshalb erschreckt mich dieser Bericht, weil er gegen den medialen Mainstream und dem jeweiligen selbstgerechten Bohei der "Gerechten", wenn wieder mal ein Fall durch die Medien getrieben wird, zeigt, dass Gewalt gegen Kinder eben nicht einer klar definierten "bösen" (pathologischen) Menschengruppe entlastend zugeordnet werden kann, sondern Teil einer gesellschaftlich definierten Normalität (Gesundheit) ist. Das auszusprechen und damit zu arbeiten ist immer noch eines der größten Tabus in unserer Gesellschaft.

7.12.12


Wart Ihr schon mal in einem Senioren-Forum? Wow, dagegen ist Mobbing in der Schule ein Spaziergang in einem lauen Sommerlüftchen. Jesses, sind die bösartig. Und es sind die Weiber, eindeutig die Weiber... *grummel

3.12.12

Ich fand ja schon als junger Mensch, wer Weihnachten wirklich feiern will, der soll in die Kirche gehen und freudiglustig mit Gleichgläubigen feiern und beten und singen und jauchzen. Und damit hätte es sich dann auch. Alles andere war und ist wieder in meinen Augen nur ein sich selbst in die Tasche lügendes Dummzeugs, geboren aus dem unbefriedigt gebliebenem kindlichen Begehren nach selbstloser Liebe, Aufmerksamkeit und umfassender Fürsorge. Die Enttäuschung, die Traurigkeit und der Schmerz folgen so unausweichlich jedes Jahr aufs Neue dem ganzen Konsum-Geduddel-Brimbamborium. So kann die Seele nicht gesunden und gedeihen. Im Gegenteil.

27.11.12


Okay, vielleicht hätte ich meine Novemberdepression doch nicht im Juli nehmen sollen, denn der November scheint mächtig sauer zu sein, dass ich ihn übergangen habe und schlägt gekränkt zurück. Mal ne kleine (klitzekleine) Auswahl dieses kindischen Umsichschlagens aus den letzten fünf Tagen: Tochter hat nen unverschuldeten Unfall; Spiegel lösen sich nachts von der Wand und zerdeppern; Vermieterin bekommt nen atemnotigen Anfall, weil der Garten noch net winterfest gemacht ist; Postpakete mit dringend Notwendigem verschwinden im Nirwana; der öffentliche Nahverkehr kostet mich jeden Tag unnötig Nerven und Zeit; Nebenhöhlenentzündung entert die Bronchien; ein Freund bietet sich an, ausstehende Gelder bei nem Schuldner abzuholen und entfläuscht mal mit dem Geld so mir nix dir nix; der Auszug eines Mitbewohners zieht und zieht sich in die Länge und verhindert so die unstreßige Weitervermietung; Spülkästen laufen über, der Duschkopp gibt den Geist auf und der Abfluss verstopft sich und setzt das Bad unter Wasser ... .... ... ...  wenn ich nachdenke, fällt mir bestimmt noch mehr ein. ABER! Nenene, ich werde dieses Jahr keine doppelte Portion Depression nehmen. Punkt!

25.10.12

In einem Forum eine Diskussion über die Botschaft des "Opferfestes". Ich weiß ja net, ich weiß ja net. Man könnte die Geschichte von Abraham ja auch anders lesen: Gott sagt: "Du liebst mich und ich liebe alle Menschen. Darum prüfe ich dich. Jetzt." ... Action ... "Wie kannst du Gehorsam über die Liebe stellen, alter Mann? Wie kannst du mir unterstellen, dass ich von dir erwarte einen Menschen zu töten, den ich liebe, genauso wie ich dich liebe. Dein Gehorsam schmälert die Liebe zu mir und dein Vertrauen in mich. Darum wirst du es lernen in all den kommenden Jahren und Jahrhunderten. Und deshalb lerne als ersten Schritt: Höre auf Menschen zu opfern! Ich will diese Art von Opfer nicht! Du sollst nicht töten!" ... ... ... Als Kind gefiel mir diese Version einfach besser. Aber, man reitet ja lieber ausdauernd auf dem Gehorsamsedikt rum. Gehorsam und Liebe - nenene, das geht für mich einfach nicht zusammen. Da gibt es keine Kausalitäten. Punkt.
Da lass ich mich gegen Grippe impfen und acht Stunden später liege ich mit einem Hammerinfekt danieder. Das macht jetzt aber keinen Sinn.

Ein Schnupfen hockt auf der Terrasse,
auf dass er sich ein Opfer fasse
- und stürzt alsbald mit großem Grimm
auf einen Menschen namens Schrimm.
Paul Schrimm erwidert prompt: „Pitschü!"
und hat ihn drauf bis Montag früh.
Christian Morgenstern
(1871-1914)

24.10.12


Eine emotionsgeladene Diskussion um das Für und Wider der Gleichstellung von Glockengeläute und dem Ruf vom Minarett. Da erregten sich die Gemüter bis zum Speichelfluss und ich saß staunend dabei. Ach, ich bin da wohl viel zu pragmatisch, manche nennen es naiv: Weder das Bimmeln der Glocken, noch der Ruf des Muezzin, noch sonst ein kultisches Herbeirufen von Gläubigen jedweder Art stören mich, wenn sie mit Selbstverständlichkeit und gegenseitiger Akzeptanz erschallen. Eine bunte Vielfalt, die mich eher erfreut, erinnern sie mich doch daran, dass es mehr gibt als nur Hetzen und Hasten in meiner Welt. Stören tun mich dagegen Verkehrslärm, über meinen Kopp rasende Flugzeuge, sinnlose Licht- und Lärmbeschallung zur Konsumförderung und Ähnliches. Wenn wir dagegen gemeinsam anglocken, rufen, singen würden, fände ich das wunderbar ermutigend

2.10.12


„Frau Müller, warum wollen Sie in Ihrem Alter und mit Ihrer beruflichen Reputation noch einmal in einer Krabbelstube arbeiten?“
„Genau aus diesen Gründen. Beides, mein Alter und meine beruflichen Erfahrungen erlauben es mir, mich völlig ungezwungen im Jetzt zu bewegen. Ich muss mir und anderen nichts mehr beweisen, ich stehe nicht in Konkurrenz um irgendwelche Pöstchen mit meinen Mitarbeiter (innen), ich muss diesen Job nicht machen, weder aus finanziellen, noch aus anderen Gründen. Ich will es einfach nur. Sehen Sie, ich habe jetzt quasi eine Generation von klein auf bis ins junge Erwachsenenalter begleitet. Vieles von dem, was ich vor zwanzig, dreißig Jahren nur aufgrund von Überlegungen und Überzeugungen in der außerhäuslichen Kinderbetreuung vertreten habe, kann ich heute durch langjährige reale Erfahrungen relativieren oder untermauern. Mein Alter verschafft mir zudem einen besonderen Status: Man hört mir zu. Ich stehe nicht im Wettkampf mit jungen Müttern und Vätern um die besseren Erziehungsmethoden oder Ähnlichem. Besonders die Väter nehmen mich ernster als damals als junges Ding. Und da ist über all die Jahrzehnte so ein tiefes Wohlwollen in mir gewachsen. Davon möchte und kann ich weitergeben und zwar genau da, wo es dringend gebraucht wird.
„Aber warum gerade den Krabbelstubenbereich?“
„Hier fängt alles an. Die ersten drei Lebensjahre sind so grundlegend ausschlaggebend. Die Basis für alles danach. Als Therapeutin gehe ich immer wieder mit meinen Klienten in diese Zeit zurück. Jetzt werde ich für einige Zeit noch einmal ganz real und konkret jeden Tag mit diesen kleinen Menschen zusammen leben. Auch dies wird wieder manches in meiner Arbeit mit den Erwachsenen relativieren und deutlicher werden lassen. Eine wunderbare Situation, von der so viele Anteile in mir profitieren werden. Es macht mich glücklich und das ist doch eine der besten Voraussetzungen für eine sinn- und liebevolle Arbeit mit Kindern und Eltern in diesen Zeiten, oder?“
"Werden Sie weiterhin als Therapeutin arbeiten und auch Texte schreiben?"
"Aber sicher doch, das eine schließt das andere doch nicht aus. Im Gegenteil."

21.9.12

(Auszug aus einer Diskussionsrunde im Netz über die Hartz IV Erhöhung um 8,-- Euro)

„Wer arm ist an Geld, ist arm an Ideen.“
Das ist einer der verquertesten Sprüche, die ich kenne.
Nur "Ideen" zu haben ist Quatsch. Denn ohne Anschubfinanzierung lassen sich Ideen auch nicht umsetzen. Also müssen es schon die "richtigen" Ideen sein, die potentiellen Investoren gefallen. Und dann muss nicht nur die Idee gefallen, sie muss auch noch Gewinn/Ertrag bringen und anderen ihren Gewinn nicht schmälern. Außerdem muss auch noch deine Nase gefallen, deine Person, dein Umfeld, deine Geschichte, dein Charakter... Ach Herrjeh, manche bleiben dann arm an Geld und geldwerter Arbeit, aber reich an Ideen, ehrenamtlichen Projekten, einem sonnigen Gemüt und einem Herz wie ein Vulkan. Nur satt, satt wird man davon immer weniger. Und das ist nicht gerecht. Punkt.
"Vom Tellerwäscher zum Millionär" <- war da nicht mal etwas? ... Ja, die gab und gibt es, diese Menschen, die aus dem Nichts heraus eine Existenz aufgebaut haben. Unbesehen. Es gibt auch die, die im Lotto gewinnen und es nicht verprassen, sondern in das neue, eigene Unternehmen stecken oder die im DSDS gewinnen und dies als Chance nutzen, und, und.... es gab auch Gladiatoren, die die Arena lebend verlassen und Sklaven, die mit ein wenig Land in die Freiheit entlassen wurden. Ja, das alles gab und gibt es. Ich bin kein Mathefreak, aber mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass dies in Relation zu all denjenigen, die das nicht erreichen konnten, eine sehr kleine Zahl ist. Daraus jedoch in einer hoch zivilisierten Gesellschaft die Norm und den Wert zu kreieren "wer arm ist, hat keine Ideen" ist schon recht anmaßend und betriebsblind. Ich bin eine vehemente Anhängerin der Haltung: Beweg deinen Arsch und tu was! und ich lehne es ab, dass immer wieder Herkunft, Umstände, kleine Befindlichkeitsstörungen, etc. als Ausreden herhalten müssen für die eigene Bequemlichkeit, für die Angst, für verdeckte Schuld und so ein Zeugs. Aber! und dieses ABER ist ein ganz dickes: Es gibt gesellschaftliche Zustände, Wirtschaftsfaktoren, systemimmanente Machtverhältnisse und Verspinnungen, die es dem Einzelnen unmöglich machen, auch wenn er noch so will und kann und vor Ideen und Energie noch so sprudelt auch nur einen Fußbreit auf den Boden zu bekommen. Das ist für mich Realität. Realität ist für mich aber allerdings auch, dass jeder Mensch die Wahl hat, sich damit abzufinden und in Traurigkeit, Starre, oder Verzweiflung zu fallen, oder sich zu wehren, sich einzubringen, laut zu werden oder sei es nur, dass er aussteigt aus dem System, Arbeit und Glück für sich neu definiert. Aber auch dann gilt: Zuerst kommt das Fressen und dann kommt der ganze Rest.
Übrigens geht mir seit Beginn der Diskussion der Begriff "geplante Obsoleszenz" durch den Kopf. Was ist denn mit den Wissenschaftlern und Technikern, die ja nur so sprudel(ten) vor Ideen, aber auf dem Markt nicht ankommen, weil sie Produkte erfanden oder erfinden, die ein langlebiges Haltbarkeitsdatum haben, aber keine Lobby hinter sich.
Was ist mit den ganzen Ideengebern im sozialen Bereich, die den Auftrag der Sozialarbeit ernst nahmen, nämlich sich selbst und ihre Tätigkeit überflüssig zu machen? Was ist mit den ganzen Mittelständischen und den kleinen Familienbetrieben, die von den großen Ketten und Konzernen vom Markt geschmissen werden? Was ist mit den Bauern, die ihre Höfe aufgeben müssen, weil Mais für die Biogasherstellung höher subventioniert wird als Getreide und die, die Zerstörung der Felder dadurch nicht mitmachen wollen und lieber aufgeben? Was ist mit den kleinen Lokalbetreibern, die hinschmeißen müssen, weil Gema Gebühren in astronomische Höhen wachsen? Was ist mit der alleinerziehenden Mutter, die keinen Job findet, weil sie keinen Krippenplatz für ihr behindertes Kind findet.... Och, da könnt ich jetzt stundenlang weiter aufzählen.... Nein, es ist nicht immer nur das eigene Versagen, die eigene Leistungsunwilligkeit, die eigene "Schuld", der Mangel an eigenen Ideen.
Die Welt ist ein bissl verzwickter.
"Nun, das haben manche noch nicht begriffen."
Oh, er, du, Sie muss doch nichts begreifen. Darum geht es mir nicht. Jeder hat seine eigene Landkarte von Welt und wenn jemand damit zufrieden und glücklich ist, dann ist das doch okay. Und ich lass mich gerne einladen, mir diese Landkarten anzusehen und vielleicht daraus etwas zu lernen. Da find ich gut. Es ging/geht mir nur darum, dass ich zornig werde, wenn daraus allgemeingültige Wertmaßstäbe, verallgemeinernde Normen, und moralische Imperative oder gar unreflektierte Schuldzuweisungen gemacht werden.

Zwei Links, die mich in den letzten Tagen umtrieben und die vielleicht in diesen Gesprächssplitter ganz gut passen:


9.9.12


„Wie schreibe ich denn?! Ganz frei, ganz ohne Bedenken. Nie weiß ich mein Thema vorher, nie denke ich nach. Ich nehme Papier und schreibe. Sogar den Titel schreibe ich so hin und hoffe, es wird sich schon etwas machen, was mit dem Titel im Zusammenhang steht. Man muss sich auf sich verlassen, sich nicht Gewalt antun, sich entsetzlich frei ausleben lassen, hinfliegen –. Was dabei herauskommt, ist sicher das, was wirklich und tief in mir war. Kommt nichts heraus, so war eben nichts wirklich und tief darin und das macht dann auch nichts.“ Peter Altenberg

24.8.12


Du sagst, ich solle endlich loslassen! Ach? Ja, natürlich. Und wenn der Kopp es weiß und das Herz kreischt, weil es das nicht aushält, zuzuschauen, wie die die gleichen Fehler machen, die man selbst zuzeiten? Ne, ich weiß auch keine bessere Lösung als das Loslassen. Aber, ich kotz und heul mir die Seele aus dem Leib dabei. Das erlaube ich mir. Punkt.

17.8.12

Du sagst, Geld mache nicht glücklich. Du sagst, es käme im Leben auf ganz andere Dinge an. Du sagst, du hättest dich nun entschieden mit ganz wenig und gesund zu leben und es gehe dir gut damit. Du sagst all dies und noch viel mehr mit einem anklagenden Ton, so als wolle ich es nicht kapieren. Du sagst dies alles so vorwurfsvoll, als sei ich deppert und stünde auf der Leitung. Du, mein lieber Freund, übersiehst etwas ganz Wichtiges: Du hast dich entschieden! Du hast dich für Askese entschieden, nicht für Armut. Denn du warst niemals wirklich arm und wirst es niemals sein. Deine Familie hat Geld und Firmen und Häuser. Du bist reich. Hast du auf all das verzichtet? Hast du deinen Reichtum verschenkt? Ne, du verzichtest nur auf einen bestimmten Konsum und wählst einen anderen Lebensstil. Ich kann nicht wählen, denn ich bin arm. Ich kann mich nicht entscheiden auf etwas zu verzichten, denn da ist nix von dem ich mich lossagen könnte. Ich kann mich nicht für deine Askese entscheiden, denn deine Askese ist immer noch wohlhabender als mein tägliches Überleben. Also komm mir nicht mit so einem Scheiß, mein Lieber!

8.8.12

So sieht es im Augenblick in mir aus. Mir fehlt der Ariadne Faden. Baustellen an allen Ecken und Enden im Gehirn und im Gemüt. Eine beissende Unzufriedenheit. Die Erfahrung lehrt: Es gibt irgendwann so etwas wie einen Urknall und alles wird zersplittern, manches sich auflösen und manche Teile werden sich zusammen fügen. Dieses Gären braucht wohl noch einen Moment. Es ist ein widerlicher Zustand.

25.7.12


CSD in Frankfurt. Zum ersten Mal einen eigenen Stand. Freude. Eindrücke:
Jesses, es brauchte zwei Tage bis ich merkte, dass alle dachten, dass wir wegen dem Untertitel „Transkulturelle Kommunikation“ der einzige Transenstand auf der Infostraße seien. Auf sowas komm ich gar net.
Viel weniger Menschen als in meiner Erinnerung. So viele traurige, verunsicherte und einsame Leute. Armut sichtbarer. Politische Diskussionen kaum gefragt.
Ne Menge Geschichten gehört, in denen es um steigende Vorbehalte und Mobbing im sozialen Umfeld ging. Es scheint einen gesellschaftlichen Rollback in Bezug auf Akzeptanz unterschiedlicher Lebens- und Beziehungsmodelle zu geben.
Das Schubladendenken innerhalb der "Szenen" war deutlich für mich spürbar. Man grenzt sich ein und ab um eigene Identiäten scheinbar zu sichern. Was ein Hickhack und eine Intoleranz untereinander.  
Gleichzeitig, so komisch das jetzt klingt, erscheint mir Sexualität in allen Variationen immer noch ein absolutes Tabuthema zu sein. Der lockere und reflektierte, auch sprachliche, Umgang damit ist auch und gerade in den diversen „Szenen“ kaum selbstverständlicher geworden.
„Alter, Eros, Tod“ (ein Projekt von Senso24) ist ein mit Angst und Abwehr besetztes Thema. Es wird der Schwerpunkt unserer Arbeit in den nächsten Jahren sein.
Unterm Strich: Eine Menge gelernt und ja, immer wieder und wesentlich  provokativer als diesmal.
www.senso24.net

20.7.12


Seit 20 Jahren gibt es nun den CSD in Frankfurt und ich glaub, ich habe kaum einen davon verpasst. Ich erinnere mich noch daran wie mein kleiner Knirps auf der Bühne rum tanzte und wie ich mit Kind und Kegel lachend mit auf den Umzügen war. Es waren für mich immer die Tage, die meine Stadt wirklich zu „meiner“ machten – offen, tolerant, lebendig, bunt. Die Kinder sind nun groß, ich wohne auf dem Land und ich bin dieses Jahr zum ersten Mal mit einem eigenen Stand (Senso24/ Stand Nr. 19) dabei. So was von aufgeregt und freudig gespannt. Wie wird die Stimmung sein, wie die Leute drauf? Geht es nur um Party oder ist da auch ein Bewusstsein über die Notwendigkeit und das Ermutigende solcher Veranstaltungen in diesen kalten Zeiten?

12.7.12


Manche Menschen wandeln Schmerz in Selbsterkenntnis oder gar in Lust. Ich wandle eine bestimmte Art von Schmerz in aktive Fettzellen um.
Woran ich das merke? Deduktion: Mit jedem Gramm, das ich durch körperliche Anstrengung abnehme, öffne ich eine Tür in mir, die ich eigentlich nicht öffnen mag, weil dahinter Dinge liegen, die ich mir zwar ansehen müsste, aber nicht ansehen will. Dann heul ich und verbrenne Fett durch Tränen. Feine Erkenntnis. Und jetzt? Jetzt erhöhen wir das Trainingsvolumen und kaufen ein XXL Paket Papiertaschentücher. *snief

8.7.12


Manchmal gehe ich als erwachsene Frau meinem inneren Kind auf dem Leim und dann ist da so ein überbordend gieriges Sehnen nach bedingungsloser Liebe, nach absolutistischer Loyalität und unverbrüchlichem ZuMirStehens. Und dieses Sehnen überrollt die Frau und malt die Welt in reinem Schwarzweiß. Da diese Welt aber bunt und voller Schattierungen ist, fällt das Kind tief und weint und schreit und wütet. Es ist sehr anstrengend, das Kind wieder ein- und aufzufangen, es zu umärmeln und sanft zu wiegen. Zurück bleiben in der Frau dann Spuren von Traurigkeit und ein leises Weinen.

6.7.12


Schreiben, schreiben, Schreiberei – irgendwie bekomm ich nicht den richtigen Zugang dazu im Augenblick. Natürlich schreibe ich fast die ganze Zeit. Zettelschreiben nenne ich es: Lauter unterschiedliche Gedanken, Erinnerungen, kleine Geschichten, Stichwörter, Halbsätze. Alle wichtig, alle richtig gut. Nur, tausendundeine Baustelle, da ist nix fließend Wachsendes. Schreibblockade ist das nicht, das fühlt sich anders an. Es ist eher so, als wäre ich schwanger und das Wesen in mir könne sich weder für Geschlecht und schon gar net für Geburt entscheiden. Es kreist. Ein widerlicher Zustand, den ich weder beschleunigen noch kontrollieren kann. Ekelig. Nervend.

5.7.12


„Dann bist du voll gefressen und satt, weil du ein Teil von dem geworden bist, wogegen du dich mal voll mit jugendlich zornigem Gerechtigkeitsgefühl gewehrt und mit Freunden gekämpft hast. Und eines Tages wirst du in den Spiegel schauen und dich nicht wieder erkennen und dann wirst du kotzen vor ekelgetränkter Scham und falsche Freunde werden dir eilig den Sabber vom Mund wischen und dir noch ein, zwei Häppchen nach reichen, bevor sie dich endgültig fallen lassen."

Die Reflexion der eigenen Geschichte, das Resümee aus den eigenen Erfahrungen – dafür ist niemand verantwortlich außer dir selbst und du selbst bist Niemandem Rechenschaft schuldig. Dein einziger Maßstab ist für dich der kritische Blick in den Spiegel: Erkennst du dich noch? Liebst du dich noch? Bist das noch du, oder schaut dich da ein Fremder an?

4.7.12


„Jeder Mensch hat das Recht zwischen einer Vielfalt von gleichwertigen Lebens- und Beziehungsmodellen frei und eigenverantwortlich für sich wählen zu können. Aus dieser Wahl dürfen weder ihm noch einem anderen Menschen gravierende psychische, soziale, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder sonstige Vor- oder Nachteile entstehen."

Du darfst keine Freundin haben, die auch BDSMerin ist und ganz locker zu dieser Freundschaft stehen? Weil diese Freundin spricht ganz offen und selbstverständlich auch über diesen kleinen Teil ihrer Persönlichkeit. Öffentlich! Jesses. Was ist mit lesbisch, vorbestraft, Drogen abhängig, arm, schwarz, Moslem, schizophren, Kommunistin, etc., etc...? Gibt es da irgendwo ne Liste? Sind das Zuschreibungen, die per se ansteckend sind und du wirst dann automatisch auch dazu? Wo willst du da eine Grenze ziehen bzw. von irgendjemand für dich ziehen lassen?

Was hat meine Lebensweise und Weltsicht mit deiner beruflichen Reputation zu tun? Einfaches Beispiel: Kirchendogma: Keine Scheidung. Lässt der Pfarrer sich scheiden, fliegt er raus aus Amt und Würde. Das wusste er vorher und zu diesem Dogma hat er sich bekannt, als er diesen Job angenommen hat. Das mag man verstehen oder auch net, das ist seine Entscheidung. Aber er fliegt doch net raus, weil sein Bruder oder sein Freund sich haben scheiden lassen. Freundschaft heißt doch net, dass du automatisch alles was dein Freund/deine Freundin lebt, denkt, gut heißt, auch leben, denken, gut heißen tust. So bekloppt können net mal Verbands-Psychoanalytiker in ihrer Argumentation sein. Und sollten sie es doch sein, dann sagt es ne Menge über sie aus und über ihr Menschenbild und net über dich und mich.
Man hat mich verleugnet und verschwiegen weil ich ein uneheliches Kind war, weil ich aus der Unterschicht gekommen bin, dann weil ich Feministin, Kommunistin und dann, weil ich mit einem Ausländer verheiratet war. Und jetzt willst du mich in einer virtuellen Freundesliste verstecken, weil ich mich offen zu dem Recht auf freie Wahl der eigenen Sexualität bekenne und darüber schreibe. Ne, oder?!
Was würde denn im schlimmsten Falle geschehen? Deine Umwelt würfe dir vor, dass du mit Frau Müller befreundet seiest? Und deshalb die Möglichkeit bestünde, dass du genauso tickst wie sie? Ähm, ne gute Möglichkeit Position zu beziehen und festzustellen, dass es um dich geht und net um Frau Müller (s.o.) Aber klar, Position beziehen trägt immer auch das Risiko in sich, dass man dann eben auch mit Nachteilen dafür „bestraft“ werden könnte. Fällt unter die Rubrik Zivilcourage und vielen sau schwer.
Etwas tun, weil vielleicht in Zukunft die Möglichkeit bestünde, dass man dadurch Nachteile haben könnte, obwohl man an und für sich die Begründungszusammenhänge der Benachteiligung nicht richtig findet, das nenne ich auch vorauseilenden Gehorsam aus opportunistischen Gründen. Und vielleicht sollte man da in der Ausbildungsanalyse mal hingucken. Oh, ne, geht ja net. Dann müsste man ja vielleicht auch über BDSM reden, zumindest den bei der Frau Müller. Und darüber spricht man ja nicht, weil ein Psychoanalytiker darf ja kein BDSMler sein und, nach deiner Ansicht anscheinend, auch keine freundschaftlichen Beziehungen zu ebensolchen haben. Das ist sowas von gaga und ein saublöder Kreis, in dem du dich da begeben hast. Du. Nicht ich.

Ich bin zu alt für so einen Scheiß.

3.7.12


Okay, ich hab´s gelesen. "Shades of Grey" von E.L. James. Jesses. Es liest sich schnell und flüssig, da die Sprache net gerade, hmm, anspruchsvoll ist. "Pretty Woman" Verschnitt mit Softporno und SadoMaso/DominanzSubmission Melange. Aus eigener Erfahrung -> So sieht BDSM in der Realität net aus. Gott/Göttin, oder wem auch immer, sei Dank!

"Aber, es verkauft sich saugut, Frau Müller. Im Gegensatz zu ihren Büchern!" ... "Stimmt, die Geschichten vom Prinzen und vom Aschenputtel waren schon immer Verkaufsschlager. Da träumt sich Karlchen Schmidt zum supertollausehendinGeldsch​wimmendenimmerpotenten Dominus und Lisa Gerstenmeyer zur wildentjungfertschmaltaill​iertreinliebendhingebungsv​ollgeficktgeschlagenen Mätresse. Das kommt gut, ja. Besonders in Zeiten wie diesen."

22.6.12


Wuff. Ich bin auf den Hund gekommen. Finde mich morgens um sechs auf der steilen Treppe Richtung Felder wieder und denk mal kurz, dass ich doch einen Knall habe, mir sowas aufzuhalsen. Zehn Minuten später, die Schrittfolge ist mittlerweile forscher und tänzelnd, atme ich freier, meine Füße dampfen Morgentau, kommen die ersten summenden Töne über meine Lippen und die Mundwinkel gehen nach oben. Eindeutig eine Win-Win-Situation, sowohl für mich, als auch für den kleinen Kerl aus Spanien. Glück ist manchmal ganz banal.

3.6.12


Vor einigen Jahren entdeckte ich, durch Kinder ans Haus gebunden und durch ebensolche auf den Geschmack und die Technik von PC und Internet gebracht, eine für mich neue Welt: Die virtuelle Welt. Jesses, da Sprache mein Medium ist und Bilder im Kopf mein Zugang zur Welt, war dies wie eine Reise in ein neues, wunderbares Universum.

Ich habe diese Welt naiv, neugierig und atemlos erkundet und exzessiv in Sprache und Bildern gebadet. Und ich habe unter anderem eine Subwelt, eine Nische dort gefunden, die manchen alten und neuen inneren Bildern in mir Worte gegeben hat. Die sogenannte BDSM-Szene, unter anderem auch die SZ.

Das war pima und sehr aufregend erregend. Ich war hungrig und ich aß mich satt an all den Diskursen, Gesprächen, dem schriftlichen Austauschen. Bilder in Sprache fassen, theoretische Konstrukte bis zum Grunde durchdenken und die dazugehörigen Worte ins reale Leben herüber holen und dort zu schmecken, zu prüfen, zu verwerfen, in den eigenen Lebensentwurf real hinein zu nehmen und die neuen Bilder wieder in Sprache in die virtuelle Welt zurück fließen lassen. Schnell, atemlos, experimentierend, zwischen beiden Welten hin und her rasend. Laborratte und Forscherin in einer Person. Jesses, war das geil.

Natürlich war abzusehen, dass dies alles irgendwann ein Ende in dieser Form und Schwerpunktsetzung haben würde. Weg und Ziel sind Prozesse, die sich durch Tun/Bewegung ständig verändern und sich permanent neu selbst erschaffen.

Mittlerweile hat die virtuelle Welt diesen Zauber für mich verloren. Das Internet ist für mich zu einem Informations- und Kommunikationsmedium unter vielen anderen geworden. Nicht mehr wegzudenken, aber auch nicht mehr so magisch verzaubernd. Ein tolles Hilfsmittel. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Auch die Nische des BDSM ist als solche keine befruchtende mehr für mich. Das was mir vor Jahren noch als neu und aufregend erschien, hat sich mittlerweile mit meinen Lebenserfahrungen, meiner Geschichte, meiner Persönlichkeit vermischt. Der Hauch des „Besonderen“ hat sich verflüchtigt. Vieles, was mir in der Sprache und in den Gedankenwelten  des BDSM als Neuland erschien, stellte sich mittlerweile als Altbekanntes heraus. Manches exklusive virtuelle SM-Gedöhns entpuppte sich im realen Leben als die bekannten (zwischen)menschlichen Fragen und Stolpersteine und die Antworten finden sich für mich eher in anderen Bereichen des menschlichen Denkens und Forschens und Wachsens denn in der Nische des virtuellen und realen BDSM.

So bleibt SM für mich ein Teil meiner Persönlichkeit, der allerdings mittlerweile integriert ist in viele andere, grundlegendere Bereiche meiner Person und meines Lebens. Eine Option, eine Möglichkeit, eine Bereicherung unter vielen anderen halt. Der Zauber der Exklusivität ist verschwunden und damit auch deren Begrenzung und Einmauerung. Eine für mich subjektiv völlig gesunde und freudig begrüßte Entwicklung.

2.6.12


Liebe kennt viele Formen und sie schert sich einen Dreck um irgendwelche Vorgaben, Regeln, Anweisungen und Gebote und sonstigen Mist... sie kommt und geht und bleibt und wandelt sich - gerade so, wie es ihr passt ... und was passt oder nicht entzieht sich oft dem wunderlichen Verstand, der will und fordert, der dies und das nur in dieser oder jener Form mag ... der Liebe ist dies egal...

Aber, die Liebe hat eine Schwester und die nennt sich Sehnsucht. Und diese ist nicht gar so willkürlich und autonom gestrickt.

Sie mag die kleinen Gesten: freundliche Worte zwischendrin; kleine Zärtlichkeiten; Verlässlichkeit; Umärmelungen; fürsorgliches Umfangen; Sinnlichkeiten über Tag und Nacht verteilt; Küsse und Streicheleinheiten, tiefehrliche Gespräche über alles und jedes; kleine Rituale, die für Gewissheit sorgen; gemeinsames Denken und Tun und ganz, ganz viel Nähe.

Vor allem jedoch braucht die Sehnsucht Nahrung, weil sie sonst verkümmert. Darum bittet und bettelt sie oft ihre große Schwester, die Liebe, an, ihr doch bei der Stillung ihres Hungers zu helfen. Doch die Liebe lacht nur und meint: „Schätzchen, dafür musst du schon selbst sorgen! Ich kümmere mich um solche Dinge nicht. Ich geh oder bleibe, auch wenn es viel oder gar nichts gibt. Ich ändere oft einfach nur meine Form. Manchmal pass ich mich den neuen Gegebenheiten an und manchmal halt nicht. Wie es mir so ist. Satt werde ich immer, weil ich mich aus mir selbst heraus nähre.“

So bleibt der kleinen Schwester Sehnsucht oft nur das Gehen und das Suchen nach neuer Nahrung.


1.6.12


Und dann sitzt man da und denkt und macht und tut und der Verstand sagt dies und die Vernunft sagt das und man schaut sich alles an und verwirft und wägt ab, richtet und rechtet und besieht sich all die Abers und Wenns und Widers und Gegens von allen Seiten genau und schüttet alles in ein Sieb und man tut es wieder und wieder und wieder und immer bleibt da dieser Rest und man kann es nicht erklären und nicht rechtfertigen und es lässt sich nicht fassen in kluge bedachte Worte und Vernunft und Logik haben sich mittlerweile eh schon längst entnervt abgewandt. Denn es bleibt am Schluss immer die gleiche Antwort auf die letzte Frage:
"Liebst du dich?"
"Ja, ich liebe mich."
Heimweh ist die schmerzliche Sehnsucht nach Geborgenheit.
„Ich war allzu moralisch, allzu vernünftig, allzu bürgerlich gewesen! Ein alter, ewiger Fehler, den ich hundertmal begangen und bitter bereut habe, ist mir auch diesmal wieder passiert. Ich wollte mich einer Norm anpassen, ich wollte Forderungen erfüllen, die gar niemand an mich stellte, ich wollte etwas sein oder spielen, was ich gar nicht war. Und so war es mir wieder einmal geschehen, daß ich mich selbst und das ganze Leben vergewaltigt hatte.“

Hermann Hesse, Kurgast



Es ist so verführerisch sich einer angenommen Norm anzupassen. Man fühlt sich für kurze Momente so wohlig aufgehoben. Bis man merkt, dass der Preis für diese Wohligkeit zu hoch ist. Man zahlt drauf, mit dem was Leben, das eigene Leben wirklich ausmachen könnte. Für einen scheinbar stabilen Augenblick gibt man all die irrwitzigen, verrückten, quirligen Möglichkeiten auf. Nöh, ich will nicht beliebig sein, ich will mich nicht anpassen und ich will meine Energien nicht in die Aufrechterhaltung eines äußeren Scheins vergeuden. Lieber zahle ich den Preis, den diese Gesellschaft von den Unangepassten, Aufrechten, Suchenden, Kantigen verlangt. Da stimmt die Rechnung nämlich irgendwie. Ein richtiges Schnäppchen!


31.5.12


Da hängt ein Familienvater im Urlaub ne vorher tiefgekühlt Forelle aus dem Supermarkt an die Angel um seine Kinder zu beeindrucken und ein zufällig vorbeikommender Passant zeigt ihn wegen Wildfischerei an. Mich erinnerte diese Geschichte daran, dass ich mal das Papier von einem alternativen Käseladen aufgehoben habe um dann beim Besuch meiner ernährungsbewussten Bekannten den Aldikäse darin eingewickelt zu präsentieren, da ich mich meiner Armut schämte. Angezeigt hat mich niemand, doch die Scham ob so eines feigen Schwachsinnes hat mich noch eine Weile belastet. Allerdings lernte ich daraus auch: Die Vortäuschung falscher Tatsachen, die Erweckung eines Anscheins, hat in Folge einen genauso langen Rattenschwanz an energiefressenden Stress wie die Lügerei. Unterm Strich ist es einfacher, die Dinge, hier den Käse, direkt in der Originalverpackung auf den Tisch zu legen. Die innere Energiebilanz ist dann einfach besser.

19.5.12


Gestern den ganzen Tag in Frankfurt. Überall Polizei in Massen. Zugenagelte Geschäfte – vor allem die, die keine Preisschilder in den Auslagen benötigen – und verrammelte Banken und Sparkassen. Dazu in der Innenstadt, da viele den Brückentag und das einigermaßen gute Wetter nutzten, viele Menschen aus dem Umland und Touristengruppen auf der Zeil. Demonstranten gab es auch. In kleineren Gruppen, da, sobald sie sich als Gruppe definieren ließen, immer gleich aufgelöst wurde. Gefallen haben mir die musikalischen Einlagen mitten auf der Zeil – da war Zeit zum Plaudern mit den Unbedarften und Neugierigen. Erstaunlich fand ich dieses Nebeneinander von eifrigem Konsum und Protest. Noch erstaunter war ich über die Uninformiertheit der meisten kurz inne haltenden Zuschauer, aber auch über die zum Teil auffällige Sprachlosigkeiten der Aktivisten bei wohlwollendem Nachfragen durch die ersteren. Wir leben in einer überinformierten Gesellschaft, in der kaum einer etwas wirklich weiß und dieses Wissen adäquat weiter geben/vermitteln kann. So erschien es mir zumindest. In meinen Gesprächen traf ich, gerade bei älteren Menschen, auf viel Wohlwollen, aber auch auf Hoffnungslosigkeit und Ohnmachtshaltungen. Und viele fragten nach Flugblättern, Informationsschriften, Handzettel. Gab es aber so gar nix. Ist das mittlerweile auch verboten, oder gehen die Aktivisten davon aus, dass jeder twittert oder sich sonst wie im Internet informiert? Das wäre allerdings eine dämliche Annahme. Was ist der Sinn einer Demonstration im öffentlichen Raum? Meinung und Haltung kundtun, aber auch die bisher Uninformierten über diese Meinung/Haltung verständlich zu informieren. Die Leute da abholen, wo sie sich befinden – geschah so gar nicht. Irgendwie kreiselte man etwas sehr um sich.
Das war es, unterm Strich, was mich traurig zurück ließ an diesem Tag -> Den meisten Menschen in der Innenstadt ging das Anliegen der Demonstranten irgendwie am Arsch vorbei, sie hatten gar keine Ahnung, um was es eigentlich geht und eine Vermittlung, bei den Interessierten und Wohlwollenden,  fand nicht statt.
Gefallen hat mir, die Freude und Freundlichkeit der überwiegend jungen Protestler.
Etwas anderes, was mir beim Sitzen und Beobachten ins Auge stolperte: Die sichtbare Schere zwischen Reich und Arm ist nirgends visuell so greifbar wie auf der Zeil in Frankfurt. Ich habe zum Beispiel  in all den Jahren noch nie so viele Menschen gesehen, die Flaschen sammeln, Papierkörbe durchwühlen – darunter auffällig viele, denen man Armut oder Obdachlosigkeit eigentlich auf den ersten Blick so gar nicht ansieht.
Die Polizei? Ja, die war halt da. Einige freundlich; einige sich fragend, was sie hier eigentlich sollen; einige wie geifernde Hunde, die endlich von der Kette gelassen werden wollten. Manche, mit denen ich sprach, konnten mir auch nicht erklären, um was es bei blockupy inhaltlich eigentlich gehe. Irgendwas gegen Banken und Reiche, oder so. Jesses.


Verlierst den Job, Dein Geld, Dein Haus und Deine Frau
Ersäufst Dein Leid in Bier und Schnaps und glotzt TV
Kannst Deinen Blick im Spiegel nicht ertragen
Doch niemals würdest Aufstehen Du Dich wagen
Frisst lieber Dreck, machst Dich ganz klein
Bleibst still und leise und daheim
Machst Schweigen Dir zum Himmelsboten
Denn Demos, die sind ja verboten
Braver Bürger, liebes Kind
Besorg Dir schon nen Sarg geschwind
Dein Leben rauscht an Dir vorbei
Du bist ganz Vieles, nur nicht frei


Privatissimo fiel mir noch etwas auf, schlug sich mir quasi unübersehbar ins Gemüt: Ich bin körperlich alles andere als fit und diese Rumlauferei strengte mich überraschend mehr an, als ich erwartete. Deshalb kann ich heute an der Demo nicht teilnehmen. Frau Müller, sie sollten, auch aus poltischen Gründen und in Verantwortung für sich und andere, endlich mal etwas für ihre Kondition tun. Verdammicht.

17.5.12

Kennt Ihr die Geschichte mit dem Hammer?

 
Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Vielleicht hat er die Eile nur vorgeschützt, und er hat was gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts getan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht´s mir wirklich. - Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor er "Guten Tag" sagen kann, schreit ihn unser Mann an: "Behalten Sie Ihren Hammer".

(aus P. Watzlawick: Anleitung zum unglücklich sein.)


Daran muss ich denken, wenn ich diesen Artikel (
http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-proteste-die-gelaehmte-stadt,15402798,15603126.html ) lese ... Jesses ... da werden eigene Ängste, Vorannahmen, Vermutungen, Projektionen auf das fantasierte Gegenüber übetrtragen und aus all diesem Gemisch werden dann eventuelle zukünftige Szenarien zur Grundlage von eigenem Handeln gemacht. ... ... ... Im normalen Alltag würde ich zu einer Therapie raten *allerliebstlächelnd



Das Alberne daran ist ja, dass die jetzt für fünf Tage alles das machen (Straßen sperren, Straßenbahnen umleiten, U-Bahnhöfe lahmlegen) was sie eigentlich mit den Demonstrationsverboten verhindern wollten.



Wenn ich abwägen muss zwischen zwei Rechtsgütern "Recht auf unversehrtes Eigentum" und "Das Recht auf Demonstrations- und Versammlungsfreiheit" dann ist das keine einfache Entscheidung und es müssen viele Faktoren berücksichtigt werden, die weit über eventuell möglicherweise eingeschlagene Scheiben hinaus gehen. Ich würde mich in diesem Falle für das Grundrecht auf "Demonstrations- und Versammlungsfreiheit" berufen und mit den Menschen, die für die friedliche Nutzung dieses Rechtes eintreten ein Bündnis schließen und gemeinsam dafür sorgen, dass es zu keiner Gewalt kommt. Anstatt eines Misstrauensvorschusses, würde ich mit einem Vertrauensvorschuss arbeiten - weil langfristig ist das viel nachhaltiger für eine Demokratie.

Mir wird immer wieder mal vorgeworfen, ich würde nur Gebrauchsliteratur/Texte schreiben. Ja klar, warum sollte ich denn sonst schreiben? Ich habe immer meine Ursprungsfamilie im Kopp, wenn ich tippe. Einfache, klare Leute, die kaum lesen und schreiben konnten, aber ihr (Über) Leben wunderbar pragmatisch auf die Reihe bekommen haben. An die denke ich beim Schreiben und versuche komplizierte Dinge aus dem Bauch heraus so zu formulieren, dass sie es verstehen würden. Ist so ein Tick von mir. Meine Texte sollen vom Leser/der Leserin gebraucht werden. Zum freuen, nachdenken, sich aufregen, zum sich wohl fühlen und sich drin wieder finden.
Es macht mich traurig und wütend. Das Verbot sämtlicher Veranstaltungen  in Frankfurt ist eine Machtdemonstration ohnegleichen und ich würde es ja verstehen, wenn da Hunderttausende auf der Straße stehen würden. Doch so verstehe ich es einfach nicht. Was wird denn hier geschützt und verteidigt? Vor wem denn? .... Oh, hat man da etwa Angst, die nachfolgende Generation fängt an selbst zu denken? Will man den Zorn der jungen Leute am Besten gleich im Keim ersticken, damit da nichts wächst und gedeiht was nach gelebter Demokratie riecht? So züchtet man Ohnmachtsgefühle und verschärft die soziale Kälte im Land. Jesses, das ist ein komisches Lehrstück im Abbau von Bürgerrechten. Merkt Ihr eigentlich, was hier passiert und was für einen Rattenschwanz das nach sich ziehen wird? Es wird nicht das erste Verbot von Meinungskundgebungen bleiben. Staat und Ordnungskräfte sind nicht in der Lage Fußballspiele von Gewalt frei zu halten, können nicht Mord und Todschlag aus der rechten Szene verhindern oder aufklären - aber eine halbe Stadt mal präventiv lahmlegen, Tanzen und friedliches Demonstrieren verbieten, das können sie. Das ist doch alles völliger Irrsinn mit Methode.

4.5.12

"Morgen will RTL mit DSDS Kids neue Quotenrekorde brechen." Ich nenne so etwas Missbrauch von Abhängigen und einen Bruch der Kinderrechtskonvention. Wo sind denn alle die Kinderschützer, die immer so schön laut sich aufplustern, wenn es um die Kinder der anderen geht? ... ... Ne, die sitzen net wirklich morgen Abend vorm Fernseher. ... ... Oder doch? ... ... ... Ne! ... ... ... ...Oder?

Diese verdammten Scheinheiligkeiten gehen mir sowas von gegen den Strich. Wenn ich mich z.B. im Fb in den wie Pilze aus dem Boden schießenden Kinderschützergruppen so umschaue, dann stelle ich fest, dass ich von Tonfall, Sprachgebrauch und Inhalten selten auf eine differenziert reflektierte Haltung der Kommentierenden schließen könnte. Die Schreier nach Tod und Lynchmord dort erwecken in mir einen Grusel, wenn ich mir die in Bezug auf Umgangston und Konfliktfähigkeiten und so etwas in Bezug auf ihre eigenen Kinder vorstelle. Und die da so rum gröhlen, ja die sitzen morgen Abend bestimmt vor der Kiste. Boah, ist das widerlich!

Zur Erinnerung:Die wesentlichen Kinderrechte, kann ja jeder mal für sich entscheiden, gegen welche Rechte so eine Veranstaltung letztendlich verstößt: http://de.wikipedia.org/wiki/Kinderrechtskonvention


6.4.12


Sechsundfünfzig Jahre auf dieser Welt. Übermorgen. So viele Gedanken und Erinnerungen. Was mich seit gestern Nacht umtreibt: Wie muss das gewesen sein, 1956, als junge Frau mit nem Kind im Bauch, dass unehelich auf die Welt kommen würde? War da Liebe? Gab es da überhaupt Raum für Freude? Wann hat sie es der Familie gesagt? War da ein Streicheln und Summen durch die Bauchdecke hindurch?  Die Geburt? War sie da alleine? War da dann ein Willkommen, vor dem Verleugnen? Sie hat es mir nie erzählt. Ist diesen Fragen immer ausgewichen, bis zum Schluss. Es hat sehr lange gedauert, bis ich ihr sagen konnte: Ich bin gerne deine Tochter und ich danke dir dafür, dass du mich hast leben und überleben lassen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie es wirklich verstanden hat. Da war so viel elendig verwobene Scham und Schuld und Zorn in ihr. Einen Teil davon habe ich ihr wohl in den letzten Wochen ihres Lebens abgenommen. Das Gehen fiel ihr leichter. Ich habe es gerne und in Liebe getan. Doch es wird nun Zeit, dass ich es ihr wieder zurück gebe. Es gehört nicht zu mir. Verziehen? Schon so lange. Vergeben? Ja.

5.4.12

Lieber Günter Grass, wenn es nur um die Inhalte und nicht um die eigenen Befindlichkeiten gehen würde, warum nutzt Du dann nicht jetzt, genau jetzt, wo Du so viel Presse und öffentliche Aufmerksamkeiten hast, diese Möglichkeiten um über nichts, aber auch gar nichts anderes als über die Inhalte zu reden? Oder geht es auch Dir doch nur um Deine Person und Deine eigenen inneren Schatten und nicht um sie und ihn, um mich und Sie und Ihnen und uns? Das, genau das macht mich traurig und Dich unglaubwürdig.

Was ein Bohei um diesen Text von Günter Grass. Dazu gibt es jetzt genug Diskussionen - wer möchte, kann sich da und dort ja einklinken. Das Einzige, was mir persönlich durch den Kopp geht: Ich lebe ja nun auch in diesem Land und ich hatte bisher kein Problem damit, klar und deutlich meine Meinung zur jeweiligen Politik der israelischen Regierung zu sagen. Leise, laut, öffentlich, privat, redend und schreibend. Wie hat der G.G. es geschafft, dies nicht meinen können zu dürfen? Irgendwie sitze ich da wohl auf der Leitung.
Was dieses, mein Land, immer noch auszeichnet: Ich kann denken und tun und reden und schreiben, ohne dass mein Leben sofort mit dem Tod bedroht ist. Ja, es hat Nachteile, wenn meine Meinung nicht die gängige ist - die Preise dafür sind bekannt. Allerdings schwanken sie nicht willkürlich, sondern sind recht überschaubar. Vielleicht bekommt man dann keinen Nobelpreis, vielleicht findet man keine Verlage, vielleicht wird man dann in den Medien zerrissen. Trotzdem kann ich sagen/schreiben, was meine Wahrheiten sind. Es dann zu tun, nennt man Zivilcourage. Über den Mangel daran sagt das Gedicht, unabhängig vom politischen Inhalt, eine ganze Menge aus.

23.3.12


Umziehen. Im eigenen Haus. Das fünfte Mal in fünf Jahren jetzt. Ein guter Schnitt, immerhin fünf Mal Bücher sortiert, wieder entdeckt, verschlungen... manche.
Ich habe die Nase voll nun – mit Staub und Farbresten und neuen Düften. Balance nenn ich was anderes.

Der innere Umzug davor verlief qualvoll langsamer, in der letztendlichen Durchführung jedoch überraschend hoppla hopp und fertig. Er tut mir besser als der äußere, im Augenblick zumindest. Neue Räume wollen gefüllt sein mit Erinnerungen, Gerüchen, Spuren. Der anfängliche Mangel daran verwirrt mich immer wieder aufs Neue und schleudert mich in Atemlosigkeiten. Wurzeln treiben zwar schon, doch hängen sie noch etwas schüchtern in der Luft rum.
Heimat ist da noch nicht, aber der Zeiger auf der Wahrscheinlichkeitsuhr ist zumindest vorgerutscht auf „Möglich“. Das beruhigt.

3.3.12

Großvater - der Patriarch

Vater? Nicht da. Mutter lebte bei den Eltern, arbeitete in einer Fabrik in der Hanauer Landstraße, dort lernte sie meinen Vater kennen. Werkspion für die DDR. Zeugte mich und ging vor meiner Geburt in den Knast. Durfte mich nach drei Jahren Haft nur einmal kurz auf den Wiesen des Lohrberges sehen, da mein Großvater sich dazwischen schmiss und Zukunft für drei diktatorisch organisierte. Offizielle Version bis zur Volljährigkeit: Entweder ich war ne jungfräuliche Zeugung oder mein Vater sei tot. Graue Projektionsfläche vieler meiner verzweifelnden Kleinmädchenträume.
Mit 18 vom Jugendamt mitgeteilt bekommen, dass es meinen Vater lebend gibt und er seit meiner Geburt regelmäßig bezahlt. Ihn in der DDR besucht und festgestellt, ich habe dort noch sechs Halbgeschwister und Großeltern. Nach drei Monaten Aufenthalt beschlossen, dass der reale Sozialismus nicht mein Ding und einmaliges Ficken meiner Eltern für tragend liebende Blutsbande irgendwie nicht ausreicht.
Außer meinem Großvater, den ich ab sechs durch Krankheit und Tod meiner Oma verlassen musste, gab es keine weiteren männlichen Bezugspersonen in meinem Leben. Er dominiert bis heute in einer verquerten Weise mein Männerbild. Ansonsten nur: Starke Weiber, die Alltag organisierten und Überleben garantierten und schemenhaft dazugehörige Ehemänner, die in meiner Erinnerung nicht mal Gesichter oder eigene Stimmen haben.
Die tiefe Sehnsucht nach einem liebevoll fürsorglich fest haltenden und los lassenden Vater bestimmt bis heute prägend mein Innenleben und meine Beziehungsunfähigkeiten. Da ist viel Zorn in dieser Sehnsucht mit eingewoben, der Grundlage für einen meiner fest gemauerten Glaubenssätze ist: Jedes Kind hat ein Recht auf beide Elternteile, egal wie beschissen die Beziehung zwischen den beiden auch sein mag. Sie haben gefälligst eine dem Kindeswohl entsprechende Form des Umganges miteinander zu finden. Ein Verpissen aus Bequemlichkeit oder sonstigen, vorgeschobenen Gründen kann ich immer noch nicht akzeptieren und mit Geld/Unterhaltszahlungen ist es da auch nicht getan.
Vielleicht tue ich mich deshalb auch schon immer so schwer mit dem analytischen Fokus auf die Mutter-Kind-Beziehung. Nehmt endlich die Väter ins Visier. Die anwesenden und vor allem die nicht anwesenden spielen eine wesentliche Rolle im Seelendschungel der nachfolgenden Generation.
Ich verzeihe dem Vater und dem Großvater mittlerweile – vergeben fällt mir da noch schwerer.

2.3.12

Da mir in den letzten Monaten auffiel, dass sich etwas in mir vehement weigert, Jahreszahlen vernünftig zuzuordnen und erinnerte Ereignisse in eine sachlich chronologische Ordnung zu bringen, habe ich mir die Aufgabe gestellt, meine "Timeline" mal exakt anhand aller gefundenen Dokumente aufzudösseln. Der Widerstand in mir ist heftig - die Frage ist: Warum bloß?
Mag ich heute schreiben? Ich weiß noch nicht. Gestern Nacht hörte ich, dass Lucio Dalla gestorben sei. Morgens in Frankfurt hatte ich mir noch überlegt, sein Konzert hier zu besuchen und angefangen mich darauf zu freuen. Er steht auch für die Jahre in Italien. Genua, La Spezia, Roma - diese verrückt lebendige Zeit des Aufbruchs. Es macht mich traurig heute, schleudert mich in die Endlichkeit meines eigenen Lebens. Alt sein ist manchmal so blödblödblöd, weil es bedeutet so viele Abschiede zu nehmen. Könnten die nicht einfach auf mich warten. Gemeinsam gehen wäre einfacher. Welch ein Bild: All die Menschen in meiner Altersgruppe, die mir im Laufe des Lebens wichtig wurden, auf einer großen Party am Meer. Feuerspringen, singen, reden, tanzen, weinen, lachen... und dann zusammen gelassen und vergnügt den nächsten Weg gehen. Natürlich weiß mein Kopf um den Sinn dieses gestückelten, zeitversetzten  Gehens, doch meine Seele weigert sich vernünftig zu sein.

1.3.12

Heute den ganzen Tag in Frankfurt. Brunchen mit Sohn und dann Arbeitstreffen und bummeln.

Hier, in dieser Stadt liegt meine ganze Sehnsucht und mein tiefes Heimweh. Seit sechs Jahren bin ich schlichtweg am falschen Ort. Er läßt sich lindern, dieser Schmerz, mit umräumen, aufräumen, hektischem hin und her Gewusel, aber ich mache mir selbst etwas vor, wenn ich denke, er würde je verschwinden und ich könnte hier oder irgendwo anders jemals ankommen. Es läßt sich schwer vermitteln, aber dort ist Heimat für mich - so ganz tief innen drin.

29.2.12

Irritationen = Verstimmung? Gibt es eine Stimmung, die nicht irrig ist? Bin ich ein Instrument, das sich stimmen läßt? Von wem und nach wessen Grundton? Meine Töne sind bassig, wenn sie um die Balance kreisen und schrill hoch, wenn sie herum schlendern. Zwischentöne im Inneren kommen mir oft abhanden, mein Ohr muss sich immer wieder neu darauf einstellen. Bei anderen höre ich sie, auch wenn sie zaghaft und versteckt sind, bei mir seltener. Dissonanzen machen mir jedoch solange Angst, bis ich ihre ganz eigenen Harmonien erkenne. Heute hatte ich schlichtweg keine Lust auch nur ein einziges Teil auf den Dachboden zu schleppen. Pausenstopp am PC.
Obwohl es ja Äußerlichkeiten sind, ist die öffentliche Angabe "Single" irgendwie befreiend nach all den Jahren. Jetzt wird sich zeigen, ob und was da noch ist zwischen uns allen. Oder ob das Dies und Das und Jenes sich schon vor langer Zeit verabschiedet haben bzw. vielleicht gar nie anwesend waren. Es fühlt sich gut an, auch wenn mir manchmal für Sekunden ängstlich und bange ist. Boah, wie ich mich selbst immer einspinn, durch Worte und seltsam verquerte Loyalitäten und verhärtete Glaubenssätze.  Jetzt wird sich entsponnen. Der Leichtigkeit ein "Hurra!" und dem Neubeginn ein freundliches Zwinkern.
Unser Haus, heute, bei bedecktem Himmel. Ich mochte dieses Haus vom ersten Tag an, weil es "sauber" war und ist, trotz seiner langen Geschichte. Ich fühle mich wohl in ihm, obwohl ich hier seit dem Einzug die emotional wirrsten und schmerzlichsten Erfahrungen machen durfte. Jetzt werde ich diese Freundschaft und Gewogenheit des Hauses aufgreifen und es zu meinem machen. Es könnte mir für eine Weile Heimat sein. Allerdings ist es eine Menge Arbeit -> noch einmal werde ich in ihm umziehen und alles muss renoviert und entmüllt werden. Aber, das paßt ja. Aufräumen, innen wie außen, in allen Bereichen. Energie dafür ist genug da. Vielleicht fühlt das Lachen sich dann hier endlich auch Willkommen. Ein Jahr bekommt das Haus noch eine Chance. Ich bin großzügig. 
Rote Haare... hatten wir doch schon mal? Jepp, vom 15ten bis zum 48ten Lebensjahr durchgehend. Und dann immer mal wieder in den folgenden Wechseljahren. Irgendwie gehören die zu mir... für eine Weile noch. Der Blick in den Spiegel schlägt Brücken und läßt mich verlorene Fäden noch einmal aufnehmen und mit dem Hier und Jetzt verflechten. Heilung auf meine Art.
Alle bisherigen Einträge gelöscht, da die meisten alten Texte auf die anderen Blogs verschoben wurden und es hier ganz neu und viel persönlicher werden soll. Tagebuch? Na ja, so ein bissl wird es meinen Kladden ähneln -> ab und an Gedanken hinwerfen, die noch nicht so ganz ausgegoren sind und über Alltäglichkeiten berichten. Warum teil ich so einen Mist? Weil es mir Spaß macht, weil ich von überall drauf zugreifen kann, weil es das Bild von mir in allen Widersprüchlichkeiten ergänzt... weil ich es einfach will und tu. :-)