31.7.15

Am 25.08. gehe ich auf REHA. Das freut und beunruhigt mich gleichzeitig. Dummerle.

29.7.15

Ich habe so ein Glück: Eine Wohnung, fließend warmes und kaltes Wasser, was auch noch trinkbar ist, im Winter eine Heizung. Ich habe freundliche Nachbarn und sehr nette Vermieter. Ich konnte die Schule und die Universität besuchen. Ich arbeite in einem Beruf, der mir Freude und Bereicherung ist. Meine Kinder waren im Kinderladen und haben einen Schulabschluss. Sie konnten frei und ungezwungen aufwachsen und ihren ganz eigenen Lebensweg wählen. Wenn ich in meinem Leben mal nicht arbeiten konnte, dann hat mir die Gemeinschaft über diese Zeit den Lebensunterhalt garantiert. Ich habe weder Krieg noch unmäßige Verwüstungen hier erlebt. Meine Reisen konnte und kann ich frei und spontan organisieren. Ich kann meine Meinung frei äußern, ohne um mein Leben fürchten zu müssen. Wenn ich sparsam bin, kann ich mir jeden Tag Essen und manchen Schnickschnack ab und zu leisten.  Ich kann entscheiden, wie ich mich ernähren will. Ich habe einen Internet Anschluss und kann 24 Stunden mit Menschen aus der ganzen Welt kommunizieren und mich über alles ausführlich informieren. Meine Enkelin lebt bei mir und ich muss keine Angst haben, dass ihr ein Schrecken passiert, wenn sie mit ihrer Mutter das Haus verlässt. Ich kann frei bestimmen, in welcher Form ich meine Beziehungen und Partnerschaften gestalte. Ich wähle meine Kleidung und meinen Stil selbst. Was heute Morgen Recht und Gesetz war, wird es auch heute Abend noch sein.  Wenn ich krank bin oder einen Unfall habe, dann bekomme ich ohne Schwierigkeiten eine ärztliche Betreuung. Ich kann wählen oder nicht wählen gehen. Ich kann mich gegen Ungerechtigkeiten wehren und aktiv einbringen. Ich kann auch vorm Fernseher hocken bleiben. Aus allem entstehen mir kein Schaden und keine Verfolgung. Jeder, der hier lebt,  kann diese Aufzählung sicher mit vielen eigenen Beispielen füllen.

Dafür bin ich dankbar.

Es ist der Zufall meines Geburtsortes, der mir all dies ermöglicht. Doch nicht nur das. Den Preis für all diese Selbstverständlichkeiten zahlen in einer globalisierten Welt tausend und abertausende Menschen, denen es dreckig geht, damit es mir so gut gehen kann. Und weil dies so ist, bin ich froh, wenn ich von meinem Glück etwas abgeben und teilen kann und es dadurch noch vermehren darf. Ich kann diese Welt nicht alleine ändern, aber ich kann sie ganz konkret in meinem persönlichen Umfeld gemeinsam mit anderen Menschen freundlicher und liebevoller gestalten für all diejenigen, die das Glück meiner zufälligen Geburt nicht hatten, und die nun mit all ihren Träumen, Sehnsüchten und Hoffnungen bei uns angekommen sind.

Das kannst du auch.


Es ist ganz einfach. 

27.7.15

„Sie sind ein Naivchen, Frau Müller.“

„Ja ich weiß. Das ist sehr freundlich, manche benutzen in diesen Tage viel schärfer Worte um mich zu beschreiben.“

„Sie können die Welt und die Menschen auf ihr nicht ändern.“

„Ja, das weiß ich schon seit mehr als vierzig Jahren. Also, was soll es?“

„Warum lassen Sie es dann nicht einfach sein?“

„Weil es falsch wäre. Einfach falsch. Ich muss mir in die Augen sehen können, darum geht es. Nur darum.“

„Was treibt Sie bloß so an und um?“

„Es ist diese eine Erfahrung: Da liegt ein Mensch zerschlagen und ausgekotzt im tiefsten Dreck und streckt mir die Hand entgegen. Und ich nehme sie. Seine Geschichte, seine Herkunft, sein Glauben, seine Wahrheiten sind in diesem einzigen kleinen Moment völlig belanglos. Was zählt ist nur, dass da ein Mensch liegt und eine, meine, Hand braucht.“

„Dieser Mensch wird Sie, wenn es ihm später besser geht, vielleicht erschlagen oder tot treten, weil Sie für ihn der Feind sind.“

„Ja, das ist gut möglich. Das ändert aber nichts an der Wahrhaftigkeit dieses einen Momentes. Dieser eine Augenblick macht uns über alle Grenzen und über alles Geblubber hinweg zu dem, was wir eigentlich wirklich und ausschließlich sind: Menschen. Alles andere ist nur aufgesetzt, ein Spiel um Macht und Gier und Dummzeugs.“

„Er wird Sie töten. Auf irgendeine Art und Weise wird er Sie töten.“

„Ja, vielleicht.“

„Sie sind naiv, Frau Müller!“

„Ja. Aber ich werde in den Spiegeln schauen und mir zu lächeln können.“

25.7.15

„Lebe nach deinen eigenen Regeln!“


Immer wieder finde ich diesen plüschigen Rat in allen möglichen und unmöglichen Zusammenhängen. Ich halte ihn für zu kurz gedacht, denn du lebst nicht alleine auf einer Insel, sondern in einer Gemeinschaft mit anderen Menschen. Schau dir genau an, welche Regeln es für das Zusammenleben in dieser Gemeinschaft gibt. Versuche ihren Sinn oder Unsinn in Bezug auf eine friedliche und rücksichtsvoll achtsame Gesellschaft zu reflektieren und entscheide dich dann, welche davon du auch zu deinen Regeln machen willst, und welche nicht. Für die jeweiligen Konsequenzen solltest du Verantwortung übernehmen können. Darüber hinaus gibt es ganz individuelle Regeln, die du dir noch selbst für dein Leben setzen kannst. Darin bist du ganz frei, jedoch nicht nur dir selbst gegenüber verantwortlich (weil du halt nicht auf einer Insel lebst). Überprüfe inwieweit diese, deine ganz eigenen Regeln, mit den Regeln der Gemeinschaft kollidieren oder zusammen passen. Sie passen nicht zusammen, wären aber für die Gemeinschaft vielleicht auch sinnvoll und schädigen niemanden? Dann versuche zu überzeugen, indem du sie vorlebst. Sie passen nicht, denn sie würden dem gemeinsamen Zusammenleben wesentlich schaden? Dann überprüfe/ändere sie, deine Regeln. Alles andere erscheint mir unreflektierter Quatsch, der sich jedoch als Spruch auf dem Sofakissen recht gut und wohlig Gefühle macht.

18.7.15

Da bringt einer Menschen um. Kommt dafür ins Gefängnis und macht dort irgendeine Ausbildung. Dann geht das Geschrei los: „Wieso darf er das? Er hat kein Recht dazu. Er ist ein Mörder. Köpft ihn oder verweigert ihm zumindest jeden Komfort und jedes Privileg.“ Könnt ihr mal alle Luft holen und kurz ein kleines bisschen nachdenken. Versuchen zumindest? Menschenrechte und Menschenwürde werden einem nicht aberkannt nur weil man im Gefängnis (egal aus welchem Grunde) sitzt. Und das ist gut so. Das eine ist deine moralische Empörung, die darfst du haben und in allen tödlichen Phantasien schwelgen bis zum Abwinken. Das andere sind Rechte, die allgemein gültig und verbindlich sein müssen. Auch zu deinem Schutz! Da darf keine moralische Empörung mitmischen, denn diese ist von so vielen subjektiven Faktoren abhängig, dass es keine Möglichkeit gäbe, diese alle verbindlich unter einen Hut zu bringen. Das macht die Rechtsprechung manchmal sehr ungerecht im subjektiven Empfinden, und die Empörung darüber ist oft auch gut, denn dadurch wird aus einer starren Rechtsprechung ein sich im Laufe der Geschichte entfaltender Prozess, der sich immer wieder selbst überprüft und um Allgemeingültigkeit ringt. Das finde ich gut, auch wenn ich manchmal kotzen könnte über all die Abzweigungen und Verstolperungen. Aber ich bleibe dabei: Menschenrechte und Menschenwürde sind unveräußerlich. Punkt.

14.7.15

"Ich werde in den kommenden Tagen nichts mehr zu Griechenland schreiben."

"Warum denn das, Frau Müller?"

"Weil ich mich seit Wochen und Wochen durch so viele Informationen dazu durchquäle um dann unterm Strich doch nur feststellen zu können: Entweder mir werden Zwischen- und Teilinformationen vorenthalten oder ich bin zu deppert um den Gesamtüberblick über Zusammenhänge dritter, vierter, fünfter... xy Ebene herzustellen. Die widersprechen sich doch in der Berichterstattung und in den Kommentaren dazu manchmal drei Mal in einem Satz."

"Na na, so schwierig ist das doch alles nicht, Frau Müller."

"Allereigentlich nicht, wenn ich es mir mit meiner Hausfrauenseele anschaue: 
1. Du gibst Geld aus, dass du eigentlich nicht hast und auch in nächster Zukunft nicht haben wirst - dann biste irgendwann pleite.
2. Du leihst dir Geld, weil du keines hast, obwohl jeder, auch der Geldgeber, weiß, dass du das nie aus eigener Kraft zurückzahlen kannst.
3. Du leihst dir wieder Geld, um Zinsen und Raten für das geliehene Geld zahlen zu können. Am besten noch vom gleichen Geldgeber, obwohl jeder, auch du, weiß, dass du dann niemals wieder die Chance hast, aus diesem Kreislauf heraus zu kommen.
Im jeden kleinen Privathaushalt würde man, schon vor der nächsten Kreditvergabe, in die Privatinsolvenz gehen und während der Wohlverhaltensphase mal eine paar Kurse über solide Haushaltsführung belegen müssen."

"Nun, bei Staaten und zwischen Staaten ist das anders und viiiiiiieeeellll komplizierter, Frau Müller!"

"Eben, sag ich doch. Meinem einfachen Horizont erschließt sich die innere Logik der Abläufe und die geistige Gesundheit aller Beteiligten nicht. Also lass ich es einfach."

8.7.15

Im Laufe meines Lebens habe ich in Wohngemeinschaften, in Studentenwohnheimen, alleine in normalen Wohnungen und einige Jahre im Ausland gewohnt. Oft habe ich bei Auszügen fast alles zurück gelassen und ganz neu angefangen. „Fast“ und das ist sonderbar, denn mitgeschleppt über all die Jahrzehnte habe ich, nachdem ich mich mal in meinem jetzigen Hausstand umgesehen und nachgedacht habe, folgende Gegenstände: Einen gusseisernen Schraubstock, ein ebensolches Zweibein (Schuhmacherwerkzeug), ein altes Fotoalbum, eine Lupe und mein Höckerchen. Seit nunmehr über vierzig Jahre begleiten mich diese Gegenstände. Eine komische Auswahl, oder? Nein, eigentlich nicht, denn alle diese Gegenstände stehen für das „glückliche“ Kind in mir. Mein Großvater war vor dem Krieg gelernter Schuhmacher und nebenbei Uhrmacher. Nach dem Krieg war er Kanalarbeiter, aber in seiner Freizeit hat er für die Nachbarschaft immer noch Schuhe hergestellt, besohlt und Uhren repariert. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich als kleines Kind mit ihm in seiner Werkstatt im Keller verbracht habe. Er hat mir viel beigebracht und er hat mir beim Arbeiten so manche  Geschichten aus seinem Leben erzählt. Auch zu den Fotos im uralten Fotoalbum. Seine Geschichte und die seiner Familie. Und auf dem Höckerchen stand ich morgens neben ihm beim Frühstücken, bevor er zur Arbeit ging. Das sind wohlige Erinnerungen. Es gibt auch andere, mächtig dunklere Bilder. Doch die wohligen, die waren und sind eine unglaubliche Ressource.

4.7.15

"Es ist soooo heiß. Seit drei Tagen ist es nicht zum Aushalten!"  

"Ach? Und jetzt stell dir mal vor, Wasser gäbe es keins, bzw. wäre rationiert. Was würdest du denn dann machen?"

"Ich würde abhauen."

"Ach!"

1.7.15

Bei der Arbeit mit dem "Inneren Kind" liegt der Fokus oft auf dem verletzten (in welcher Form auch immer) Kind. Meine Erfahrung lehrt mich aber, dass sich da in der Regel noch ein Zwilling versteckt: Das fantasievolle, abenteuerlustige, spielfreudige, auf sich und die Welt vertrauende Kind, das seine Umgebung, wenn es denn darf, noch mit einem "magischen" Blick  anschaut und erobert. Wir locken es nicht raus aus seinem Versteck, wir geben ihm keinen Raum zur Entfaltung, wenn wir uns zu sehr oder gar ausschließlich auf das andere Kind konzentrieren. Beide müssen atmen können, beide brauchen unsere Aufmerksamkeiten. Da ist einfach noch mehr drin, liebe Kolleginnen und Kollegen.