30.6.15

Immer mal wieder in Gesprächen. Es wiederholt sich anscheinend gerne:

„Frau Müller, glauben Sie nicht, es sei Ihrer professionellen Reputation sehr abträglich, dass Sie selbst immer mal wieder über Ihre eigenen Widersprüche, Zweifel oder Schattenseiten erzählen?“

„Ach, Sie meinen ich sollte mehr dieser verlogenen Marketingstrategie huldigen, in der ich meinen zukünftigen Klienten in meiner Person vorspielen solle, wie toll ich bin und was ich alles erreicht hätte. Damit diese den Schluss ziehen könnten, das läge an meiner strahlenden Weisheit und meinen eigenen, von mir gelebten, umgesetzten therapeutischen Konzepten? So von wegen: ‚Mir scheint genau die Sonne aus dem Arsch, die du auch gerne bei dir aufgehen sehen würdest?‘ Meinen Sie das?“ 

„Nun, vielleicht mit anderen Worten umschrieben, aber vom Inhalt her meine ich das, ja.“

„Wissen Sie, ich bin keine Maschine und ich bin kein Roboter. Ich bin sehr lebendig menschlich und dies beinhaltet auch, dass ich Widersprüche, Unaufgelöstes und seltsam Verquertes in mir trage, ab und zu umschichte oder abbaue und auch weiter ansammeln werde. Dies zu kommunizieren, aufzuzeigen, plaudernd darüber zu reflektieren, zu Unsicherheiten zu stehen und den Kopf nicht in den Sand zu stecken, genau das macht in meiner Welt Kompetenz aus. Es schafft Vertrauen, weil es zeigt, dass ich keine Wahrheiten horte und nicht in Weisheit gebadet bin, sondern menschlich unperfekt genau wie du und Du und Sie. Die Grundlage meiner gesamten Arbeit.“

„Ja, aber… !“

„Wie machen Sie das, so viel Zeit darauf zu verschwenden einer Perfektion hinterher zu hecheln, die es schlichtweg nicht gibt. Könnten Sie mir das kurz erklären? Ich finde das faszinierend“


(Ab dem Moment nahm das Gespräch einen persönlichen Verlauf, der nicht mehr in die Öffentlichkeit gehört.)

23.6.15

Immer noch am Thema entlang -  Regeln für die Regeln:
- So wenige wie möglich, so viele wie notwendig
- Alle! Beteiligte müssen den Sinn einer Regel verstehen und nachvollziehen können.
- Am besten stellt man die Regeln gemeinsam auf.
- Die Regeln gelten für alle Beteiligten, es sei denn, die Ausnahmen wurden benannt, verstanden und akzeptiert.
- Regeln leben auch durch Vorbild.
- Die Konsequenzen für Regelbrüche sind offen, klar und gemeinsam beschlossen.
- Regeln unterliegen keiner Willkür. Sie gelten nicht heute so und morgen so. Solange sie vereinbart sind, gelten sie.
- Jeder hat jedoch jederzeit das Recht, eine Regel in Frage zu stellen. Dann wird gemeinsam ein neuer Konsens/eine neue Regel hergestellt.
-  Ein Regelbruch ist keine Infragestellung der Regel. Das sind zwei ganz unterschiedliche Ebenen.
- Regeln sind kein Selbstzweck. Trotzdem geben sie, wie Rituale, Sicherheit, Struktur und schaffen Gemeinschaft. Wenn sie denn gemeinsam verstanden, erstellt und akzeptiert wurden.
- Offene und ehrliche Kommunikation ist die Basis jedweder Regelei.
- Regeln sind kein Machtinstrument. Werden sie als solches missbraucht, dann sind es keine Regeln mehr, sondern einseitig erlassene Vorschriften.
- Regeln kann man brechen. Die Konsequenzen nimmt man eigenverantwortlich gelassen in Kauf.



Ich weiß schon, warum ich eine Anhängerin der SoWenigWieMöglich Fraktion war und bin. 
Eine der wichtigsten Regeln, die mein Großvater mir schenkte: Du kennst die Regeln. Du kennst die Folgen eines Regelbruches. Wenn du die Regeln brichst, dann tue es bewusst mit Freude und Genuss und trag die Konsequenzen ohne zu jammern.


Regeln. Ja, mein Thema heute. Bleibt ja nicht aus, wenn man wieder ein kleines Kind im Hause hat. Es gab nicht viele Regeln, weder bei mir zu Hause als ich klein war, noch im Zusammenleben mit meinen Kindern. Es gab die, die unvermeidlich waren, solche wie: Bevor du mit Feuer spielst, lernst du, wie man mit Feuer umgeht. Oder: Du gehst nur bei Grün über die Straße und! du schaust trotzdem auch dann nach links und rechts. Dann gab es die internen Regeln: Wir lügen uns nicht an. Wir können über alles reden, aber lügen verletzt. Oder: Mach was und wie du willst, es ist mein Job dir zu sagen und zu erklären, wenn und warum mir etwas nicht gefällt oder passt. Oder: Bevor die Putzfrau kommt, wird aufgeräumt, sonst putzt sie nicht. ... Unsere Regeln waren übersichtlich. Dann kam die Schule. Jesses. Eigentlich gab es nur drei Regeln, die mir wichtig waren: 1. Sonntag bis Donnerstagabends geht es während der Schulzeit um 20h ins Bett und morgens wird nicht rum gejammert. An den anderen Abenden entscheidest du selbst. 2. Wenn du morgen nicht in die Schule willst, dann erkläre mir warum und wir finden eine Lösung. 3. Ich finde Schule aus vielen Gründen, so wie sie ist, furchtbar. Aber ich akzeptiere die Schulpflicht. Also gehen wir da zusammen durch. Ich will, dass du die Schulregeln und -pflichten kennst und du in Bezug auf die Anforderungen dein Bestes gibst. Ich werde bei jedem Scheiß, den du in der Schule machst, hinter dir stehen, aber! ich will niemals in einer inhaltlichen Diskussion mit den Lehrkräften dadurch mundtot gemacht werden, weil du ne Arbeit mutwillig versemmelt oder aus Faulheit deine Hausaufgaben nicht gemacht hast. ... ... ... Na ja, es gab bestimmt noch die eine oder andere Regel, die ich gerade nicht auf dem inneren Bildschirm habe. Viele waren es auf alle Fälle nicht. 

16.6.15

Eine meiner ganz frühen Lebenserkenntnisse, die sich auch in all den Jahrzehnten wenig bis gar nicht verändert hat: 
Mein Geschlecht darf keine Rolle spielen in Bezug auf die gesellschaftlichen Rollen, die ich spielen will und niemand hat das Recht sich anzumaßen mir vorzuschreiben, was das Beste und Natürlichste für mich aufgrund meines Geschlechtes zu sein hätte.

Unsortierte, spontane Gedanken über die Vorfälle in einer Kita in Mainz (erhebliche Grenzüberschreitungen von 3-6 jährigen Kindern gegen Kinder), bei denen ich das Gefühl habe, von außen, mit nur bruchstückhaften Informationen, mir gar kein konkretes Bild machen bzw. Meinung bilden kann:

-        - Wir schauen mit unseren Erwachsenenaugen auf die Vorfälle und benennen sie mit unseren Erwachsenenbegriffen, die getränkt sind mit unseren jeweilig eigenen Bildern, Normen und Werten.

-        Kinder haben diesen Blick und diese Sprache nicht. Sie lernen diese erst im Laufe ihrer Sozialisation.

-        Kinder entdecken die Welt, ihren Körper, ihre Gefühle. Dazu gehören auch das Verhältnis von Macht und Ohnmacht, von positiven versus negativen Gefühlen, von Grenzen und Grenzsetzungen, von Zustimmung und Ablehnung, von Ja und Nein, von erwünscht und nicht erwünscht, von angemessen und unangemessen, von Ursache und Wirkung, und, und, und.

-        - Erwachsene begleiten diese Lernprozesse aufmerksam und achtsam. Sie sind Vorbilder und Regelmacher/Regelerklärer, sie fördern, ermutigen und sie verbieten, sie benennen und stellen Zusammenhänge her. Sie haben den Überblick, den Kinder noch nicht haben können, sondern erst, durch Lernen und Erfahrungen machen, entwickeln werden.

-        - Eines der für mich wichtigsten Lernziele in Krabbel- und Kindergartengruppen: Das ist mein Körper und niemand! durchbricht die Schranke zu meinem Körper, wenn ich das nicht will. Dieses Lernziel kann nicht nebenbei erreicht werden, sondern verlangt durchgängige Aufmerksamkeit den einzelnen Kindern und der Kindergruppe gegenüber. Es geht um das tausendfache tägliche Wiederholen von  „Hast du ihn gefragt, ob er das will?“, „Willst du das?“, „Sage laut und deutlich Nein, wenn du das nicht willst“, „Hast du das Nein gehört?“, und, und, und. Und es geht um das Vorleben des Respekts gegenüber dieser Grenze: „Darf ich dich wickeln?“, „Möchtest du auf meinen Arm?“… … Es ist ein feiner, zeitaufwendiger Prozess, der permanent überprüft und reflektiert werden muss. Dafür gibt es Supervision und Teamgespräche. Zentrale Fragen: Was lernt das Kind in dieser konkreten Situation durch dieses und jenes Verhalten meinerseits? Was sind die unterschwelligen Lerninhalte, die mir vielleicht gar nicht bewusst sind?

-        - Kinderbegleitung ist kein Spaziergang. Die äußeren und inneren Rahmenbedingungen müssen stimmen. Zentral: Betreuerschlüssel und Ausbildung/Weiterbildung, Zeitkontingente für die kritisch reflektierende Arbeit an sich und im Team, intensive kompetente Elternarbeit. (Meine Erfahrung in der Praxis: Wir sind davon weiter entfernt denn je.)

-        - In Bezug auf die Eltern: Verändert sich die Haltung/das Verhalten meines Kindes? Kann ich sinnig nachvollziehen warum und weshalb? Hat mein Kind körperliche Schädigungen/Auffälligkeiten? Und, und … Fordere ich bei Zweifeln und bei Verdacht, dass irgendwas nicht stimmt, eine sofortige und umfassende Klärung? Bringe ich mein Kind da morgen wieder hin, solange nichts geklärt ist? Mache ich mich stark für mein Kind, auch wenn dies unbequem ist und vielleicht materiell negative Folgen für mich hat?

      Grenzüberschreitungen passieren. Auch zwischen Kindern. Was ich nicht nachvollziehen kann, weder auf der Seite der Bezugspersonen, noch auf der Elternseite, noch auf der Trägerseite, ist der anscheinend so lange Zeitraum, in dem dies in Mainz einfach unbegleitet weiter gelaufen ist. Das ist schief, absolut schief bis in die Wurzeln. Allerdings bräuchte es viel mehr Informationen und konkrete Einblicke, um zu verstehen, wie das passieren konnte. Moraline Empörung ist wenig hilfreich. 

8.6.15

Heute beim Orthopäden gewesen und mir ne Schelle abgeholt: "Frau Müller, Sie brauchen mehr Geduld, Geduld, Geduld. Das ist kein Spaziergang, sondern ein komplizierter Bruch gewesen und da lässt sich nix beschleunigen oder Sie riskieren eine erneute OP! Also, die Regel ist: max. 1 Stunde am Schreibtisch mit Bein hoch legen, dann immer min. zwei Stunden liegen und danach 10 Minuten leichte Aufbauübungen. Krücken bleiben noch mindestens sechs Wochen. Beide!" ... ... ... Er ist ein netter Mensch. Wirklich. Und ja, ich halte ihn für kompetent. ... ... ... Ich könnt kotzen! ... ... ... Gibt es irgendwo Geduld im Sonderangebot? *grummel

6.6.15

Man muss keiner politischen Richtung angehören und nicht mal politisch irgendwie aktiv oder gar interessiert sein, allein das normale soziale Empfinden eines Durchschnittsmenschen reicht aus um bei dieser Show (G7) festzustellen: Diese Inszenierung in dieser Form, an diesem Ort, zu dieser Zeit und in dieser Zusammensetzung ist anmaßend, arrogant, überheblich, machtgeil, herablassend, ignorant, verwerflich, unangemessen, widerlich, protzend, eklig.


5.6.15

Der Blick

In den fünfziger Jahren gab es immer diese Sirenen Übungen. Der starre panische Blick mancher meiner Erwachsenen und deren zitternden Hände währenddessen haben mich als Kind sehr erschreckt. Als junge Erwachsene sah ich den gleichen Blick in den Augen der chilenischen Flüchtlinge, wenn es an der Tür klopfte.  Und ich sah ihn später in den Augen von Folteropfern immer dann, wenn eine Stimme einen bestimmten Tonfall hatte. Ich sah ihn in den Augen kleiner Flüchtlingskinder zu Silvester und in den Augen alter Frauen, wenn man zu schnell auf sie zuging. Ich sah ihn bei den Frauen in den Sprechstunden, wenn Berührungen zufällig stattfanden. Und immer öfters sehe ich ihn heute, wenn ich unterwegs bin, in den Bahnen und auf den Ämtern. Ich werde diesen Blick nicht los. Er verfolgt mich, hat sich eingefressen in meine Seele.