28.1.16

Als junger Mensch traf mich diese Erkenntnis wie ein Schlag: Das Böse hat keinen Schwanz, keine Hörner, keine dämonische Fratze. Es hat ein ganz alltägliches Gesicht. Es lächelt freundlich, streichelt seinem Kind liebevoll übers Haar, kehrt die Straße am Samstag pünktlich, hilft dem Nachbarn bei der Apfelernte und der alten Frau über die Straße. Geht munter zur Arbeit und tritt dort mit federleichtem Gewissen den fremden Menschen vor sich in den Dreck, zerfetzt einem anderen die Gedärme und verabredet sich dabei lachend mit den  Kumpels zur Skatrunde am nächsten Sonntag. Seine Frau wird Häppchen servieren. Mein Blick wurde schärfer durch diese Erkenntnis, auch mir selbst gegenüber. Meine Seele aber schwang sich ein in ein leises Wimmern, dass bis heute nicht verstummt ist. 

26.1.16

Die verhüllen historisch wertvolle und wunderschöne Statuen in Rom, damit der iranische Präsident sich nicht ... ja, was nicht? Peinlich berührt wird? Einen Steifen bekommt? Weil er Moslem ist? ... Ähm, glauben die wirklich, dass dieser Mann noch nie nen Porno gesehen hat? Noch nie eine nackte Frau? Noch nie im Internet war. Ein Kunstbanause ist? Glauben die, dass die dort im Iran in der Steinzeit leben bzw. die Männer dort mit Augenbinden durch die Welt rennen? Jesses, was für ein Scheiss. Der lacht sich doch innerlich tot ob so einem kindischen Schmarrn. Denken die, der würde millionenschwere Wirtschaftsverträge ablehnen, weil da nackte schöne marmorne Männer- und Frauengestalten seit Jahrhunderten rumstehen? Der wird höchstens seine Gegenüber gar nicht mehr ernst nehmen, wenn die derart dämliches Zeugs machen. Für ihn sind das Weicheier und anscheinend nicht sehr überzeugt von ihrer Kultur und Geschichte. Völlig falsches Signal *andenkoppklatsch

Dieser vorauseilende "Gehorsam" ist so idiotisch (und scheint anscheinend nicht eine rein deutsche Krankheit zu sein), weil er in Wirklichkeit ja gar nicht erwartet wird. Man macht sich selbst klein dadurch und verliert jeden Stolz und hat nicht kapiert, dass gerade der "Stolz" etwas ist, mit dem man ihn und Menschen aus dieser Kultur vielleicht beeindrucken könnte. So wird man einfach nicht mehr ernst genommen. Ist wie im realen Leben. ... By the way: Interkulturelle Schulungen sind gar nicht so schlimm und tun auch nicht weh!

Und vielleicht würde man feststellen, dass dieser Mensch sogar ein kulturhistorisch Gebildeter ist. Oh Schreck! Es würde manche Menschen genauso schockieren wie die Tatsache, dass sehr viele nichtchristliche Menschen auf der Welt und bei uns ganz unbefangen begeistert und voller Vergnügen (und oft mit wesentlich mehr Spaß, als so manch ein eingefleischter Christ) Weihnachten feiern.

Die andere Seite: Jemandem, der locker Todesurteile, auch gegen Minderjährige, vertreten kann, dem kann ich auch Nacktheit genauso locker zumuten, ohne dass ich mir um sein inneres Seelenheil oder sonstige Befindlichkeiten auch nur einen klitzekleinen Gedanken machen müsste.

24.1.16

Wenn mir jetzt noch einer kommt mit dem dämlichen Spruch: „Die haben die Bibel und/oder den Koran nur falsch interpretiert, das ist eigentlich gar nicht frauenfeindlich, menschenverachtend gemeint!“ dann bekomm ich nen Schreikrampf. Was, bitteschön, ist an den uns heute vorliegenden und verbreiteten Grundtexten denn falsch zu „interpretieren“?

Das Zeugs wurde von Männern in einem jeweils bestimmten historischen (Macht)Kontext geschrieben, gesammelt, weiter gegeben, verändert, angepasst, übersetzt, zusammengestellt, gekürzt und, über all die Jahrhunderte bis jetzt, benutzt für die eigenen machtgeilen und egoistischen Gelüste von einzelnen und/oder ausgelegt nach jeweils eigenem Gutdünken von den sich jeweils drum herum etablierten (in der Regel männlich dominierten) Organisationen und Vereinen. Da ist nix mit wohlwollender Interpretation und Auslegung im Nachhinein.

Wer mit dem Interpretationsargument um sich schmeißt, weigert sich ganz einfach diese Werke als historische Schriften anzusehen und maßt sich an, daraus irgendwas verpflichtend Relevantes für heute heraus lesen und als einzig wahre Handlungsvorgaben für alle Menschen statuieren zu können.

Tut mir leid, ich habe die auch gelesen und ja, ich halte sie für wichtige Werke in der Evolutionsgeschichte der Menschheit. Für nicht mehr und nicht weniger. Intime Relevanz mögen sie haben für deinen und deinen und Ihren Glauben. Damit kann ich leben, solange es beim individuellen Glauben bleibt und du mir nicht damit kommst, daraus Leitlinien für mein Leben machen zu wollen. Dann ist es nämlich nicht mehr Glauben, sondern Ideologie und dann muss ich mir anschauen, worauf du dich berufst und dann kann ich nur feststellen, diese Texte sind aus heutiger Sicht menschen(rechts)verachtend bis zum Anschlag und zwar aus dem banalen Grund, dass die Menschenrechte damals in der menschlichen Entwicklung noch nicht zur Diskussion standen. Die lassen sich deshalb da auch nicht rückwirkend hinein interpretieren.

Also lass mich damit einfach in Ruhe oder sei ehrlich und sag mir, was du eigentlich willst, um was es dir eigentlich geht.   
Das rein Destruktive von AfD, Pegida, etc. erkennt man daran, dass nichts, aber auch gar nichts Konstruktives aus dieser Richtung kommt. Im Gegenteil: In einer Zeit, in der es oberstes logisches Gebot wäre - zur Erhaltung, Stabilisierung und Weiterentwicklung des Guten im Bisherigen - dem Chaos mit durchdachten Konzepten eine Struktur zu geben, kommt aus dieser Ecke nur nölend grölendes „Weg mit.., raus mit.., mimimi“. Das verstärkt das Chaos, zieht Energie vom eigentlich Wesentlichen ab, verschiebt den Fokus auf Nebensächlichkeiten und untergräbt den Prozess der angemessen reflektiert nachhaltigen Anpassung an neue globale Gegebenheiten. Und alle fallen drauf rein und geben sich dem Schwachsinn hin. Wie die Lemminge.  
„Da muss man doch helfen!“


Ne, eben nicht. Du musst! nicht helfen. Helfen, das ist doch kein Pflichtfach mit Sternchenvergabe. Du hilfst aus einem ganz einfachen Grunde: Weil du, genau du es in diesem Moment, an diesem Ort kannst. Dieses Können ist dem Menschsein immanent. Eine wundervolle Gabe. Du kannst natürlich auch, obwohl du ganz klar helfen könntest, sagen: Ich will hier und jetzt nicht!  Dieser freie Wille gehört auch zum Menschsein. Auch etwas Wunderbares. In dem Falle, dass du dich dafür entscheidest nicht zu helfen, obwohl du es könntest, musst du damit leben, dass andere Menschen vielleicht meinen, dass du ein großes Arschloch seist. Das dürfen die. Das nennt man Meinungsfreiheit. Und obwohl sie diese Meinung von dir haben (dürfen), könnte es sein, dass sie dir! dann irgendwann trotzdem helfen, weil sie es eben können und wollen. Das nennt man dann auf ihrer Seite Nächstenliebe und auf deiner Seite verdammtes Glück. 

21.1.16

Vertrauen. Erwähnenswert erscheint mir noch, dass es mit dem Vertrauen so ähnlich wie mit der Liebe ist: Bevor ich jemanden vertrauen kann, muss ich erst mir selbst vertrauen. Dieses Selbstvertrauen ist für mich eine der wesentlichsten Kompetenzen und Ressourcen eines Menschen überhaupt. Und für mich eines der wichtigsten Kriterien in der Pädagogik. So frage ich mich immer sofort, ob mit dieser oder jener Handlung Selbstvertrauen im Kinde gefördert oder abtrainiert wird. Dieses Vertrauen in sich selbst ist übrigens eines der stärksten präventiven Mittel gegen Sucht und Gewalt.


Jeder Mensch kommt mit einem riesigen Selbstvertrauen auf die Welt. Ohne das könnten all die wahnsinnigen Entwicklungsschritte in den ersten drei Lebensjahren gar nicht stattfinden. Leider gibt man sich dann mit allerlei standardisierten Erziehungskonzepten sehr, sehr viel Mühe das zurecht zu stutzen oder gar zu zerschlagen. Menschen mit Selbstvertrauen lassen sich nun mal nicht so leicht verführen, lenken, abhängig machen, herum kommandieren, verarschen, benutzen, ausbeuten, zum unreflektierten Gehorsam zwingen. Denn mit dem Selbstvertrauen geht das Selbstbewusstsein einher und gemeinsam ist dieses Geschwisterpaar kaum schlagbar. 

19.1.16

Ladyabteile in Bussen und Bahnen von wegen Schutz der Frauen vor Übergriffe und Anmache.

"Also, ich finde ja, wenn man da schon konsequent präventiv, dann sollten doch die Männer lieber zu Fuß gehen, und gut is."

"Das ist jetzt aber sehr diskriminierend, Frau Müller!"

"Das war ein Witz, jetzt stellen Sie sich nicht blöder als Sie sind. Aber ernsthaft: Da fährt die Frau abends unbehelligt im Frauenabteil der S-Bahn (falls nicht gerade irgendwelche Mädchenbanden unterwegs sind), wird am Bahnhof von der schon leicht beschwipsten Bürgerwehr abgeholt und sicher bis zur Haustüre begleitet und bekommt dann drinnen von ihrem Ehegatten eins in die Fresse, weil sie mal wieder vergessen hat, dass er seinen Salat nie, ich wiederhole nie! mit Apfelessig angemacht und immer von rechts serviert zu haben wünscht. Nun ja, sie kann sich dann ja später sehr sicher fühlend vom Frauentaxi ins Frauenhaus bringen lassen. Immerhin, das ist doch was!"

18.1.16

Was hat sich konkret an deiner persönlichen Lebensqualität durch die Zunahme der Flüchtlings- und Migrationszahlen in den letzten Monaten geändert?

Was hat sich für mich verändert? Real konkret erstmal nix, außer dass meine Tochter öfters als sonst gefragt wird, aus welchem Land sie denn geflohen sei. In Bezug auf Anmache, Antanzen, sexuelle Übergriffe etc.  - da ich älter bin und weniger in der Stadt nachts unterwegs, kann ich dazu nix sagen. Als Frau war ich in bestimmten Situationen schon immer auf der Hut. Rassismus? Ja, gab und gibt es, solange ich denken kann um mich drum herum. Hat mir nie Angst gemacht, sondern mich höchstens wütend. Genauso wie die Realpolitik weltweit. Für mich eine Systemfrage, daran hat sich nichts verändert. Warum auch? Gewalt auf den Straßen? Ich frag mich seit Jahren erstaunt ob all dem Elend und der Ungerechtigkeiten, warum unsere Städte nicht brennen. Aufgefallen ist mir, dass eben nicht nur die Braunen und "Besorgten" lauter werden, sondern auch die Besonnen und bisher eher stillen, hilfsbereiten und offenen Menschen. Das geht oft unter in diesen Tagen. Fürchte ich um mein Land? Nicht mehr und nicht weniger als in den Jahrzehnten vorher. 

Schaue ich auf die letzten sechzig Jahre zurück, so ganz persönlich, dann kann ich nur feststellen, dass Dummheit, Vorurteile, Diskriminierung und auch Rassismus schon immer ein Teil meines Lebens waren, mit dem ich mich auseinandersetzen musste. Heute ist er lauter, bekommt mehr öffentlichen Raum. Das macht es widerlicher, aber für mich als Person auch einfacher: Mein Gegenüber sagt mir nun ins Gesicht, welche Gesinnung es in sich trägt und schlägt nicht hinterfotzig hinten rum um sich rum und auf mich drauf.

Die vielen Menschen aus so unterschiedlichen Ländern? Da ich Jahrzehnte in der Flüchtlingsarbeit tätig war, kommt mir das alles nicht fremd vor. Zu meinem Umfeld gehörten und gehören ganz selbstverständlich Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen. War und ist eine Bereicherung.

Ja, ich weiß deshalb um die Problematiken der Integration, auch um das Gewaltpotential auf allen Seiten. Ich weiß aber auch: Einfache, eingleisige Lösungen waren und sind für die Katz und allerhöchstens Propagandamittel. Nebeneffekt durch die hohe Zahl der Neuankommenden: Das was bisher schon Scheiße war in meinem Land, wird nun deutlicher sichtbar. Dafür können die Ankommenden nix, das sind unsere liegen gebliebenen Aufgaben. Die könnten wir jetzt endlich gemeinsam angehen.

Besorgnisse? Ja, die kann ich gut verstehen. Umbrüche und Veränderungen bringen das mit sich. Im Großen und im Kleinen. Eines der besten Werkzeuge dafür: Raus aus dem passiven Hinnehmen und aktiv an der Gestaltung einer menschenwürdigen, die Menschenrechte achtenden Gesellschaft für alle mitwirken. Alles was wir dafür brauchen, ist schon da. Im Großen, wie im Kleinen.


Hoffnungslos macht mich das alles nicht. So gar nicht.

16.1.16

„In welchem Land würden Sie gerne leben, Frau Müller?“

„In diesem Land. Ich bin froh und dankbar, dass ich hier geboren wurde, aufgewachsen bin und immer noch lebe. Hier gab es in meiner Lebenszeit weder Krieg, noch Hungersnöte. Es gab keine Diktatur, keine Ermächtigung, keine lebensbedrohlichen Militäraktionen. Ich konnte zur Schule gehen, studieren, mich einbringen mit bürgerlichem Engagement. Ich musste nicht um mein Leben oder das Leben der Meinigen fürchten. Wenn ich mich gegen den Mainstream wandte, konnte ich dies offen und ohne einen nachhaltigen körperlichen Schaden zu nehmen tun. Ich konnte Form und Ausgestaltung meines Lebens eigenverantwortlich wählen.“

„Das ist aber sehr blauäugig, Frau Müller! In Ihrer Lebenszeit gab es die Zeit des Berufsverbotes, die Folgen von Hartz IV, Aufrüstung, Not und Elend der Arbeitslosigkeit, Diskriminierungen jedweder Art. und, und, und … unsere Demokratie, unsere Geschichte der letzten Jahrzehnte strotzen nicht gerade nur von Erfolgsgeschichten, sondern haben auch ihre dunkle Seiten und Schattenwelten.“

„Das bestreite ich nicht. In keiner Weise. Aber ich konnte und kann mich einbringen. Kann mich laut und öffentlich dagegen wehren. Kann mich engagieren und kämpfen. Kann wählen, ob ich hinnehme oder nicht. Das mag für viele Menschen, weil es so selbstverständlich ist, nichts Besonderes sein. Für mich war und ist es etwas Besonderes, weil es das eben nicht überall auf der Welt gab und gibt. Rückblickend kann ich doch sehen, was sich im Laufe von fast sechzig Jahren geändert hat. Und vieles davon ist gut. Es könnte noch besser sein, manches ist erschreckend schrecklich, aber es ist eben auch vieles gut.“

„Doch jetzt scheint sich einiges, auch hier, zu verändern, oder?“

„Nun, meine Komfortzone in diesem, meinem Land hatte und hat natürlich seinen Preis. Bezahlt haben und bezahlen tun den die Menschen in anderen Ländern durch Ausbeutung, Hunger, Krieg. Ihr Tod, Leid und Elend ermöglichten meinem Land, und auch mir, die Schaffung der Rahmenbedingungen für ein annähernd  freiheitliches Leben, in denen es möglich war mit Themen wie z.B. Gleichberechtigung, Inklusion, Rechtssicherheit, Aufbruch traditioneller Rollenbilder in Familie und Arbeitswelt, Bürgerinitiativen, Meinungsfreiheit, Erziehung, Selbstverwirklichung und vielen mehr real zu experimentieren und diese peu à peu neu zu gestalten. Es war absehbar, dass dies in einer globalisierten Welt nicht immer so weiter gehen könne und ich, wir uns an der Bezahlung des Preises irgendwann würden beteiligen müssen. Diese Zeit kommt nun. Ich sehe dies jedoch als große Chance: Lassen wir die Menschen, die jetzt zu uns kommen, teilhaben an den Kenntnissen und Errungenschaften der letzten sechzig Jahre. Teilen wir mit ihnen unsere Lebensart, unsere gewonnenen und verfestigten Werte und unseren Wohlstand. Aus der sich daraus ergebenden Mélange werden wir letztendlich langfristig als Menschheit alle nur profitieren können. Davon bin ich zutiefst überzeugt.“


Ja, man könnte jeden einzelnen Punkt hier detaillierter ausführen, unterfüttern, belegen. Alle Wenn und Abers einbringen. Viel, viel konkreter werden. Sollte aber keine Buch oder Doktorarbeit werden.

12.1.16

"Frau Müller, sagen Sie doch mal etwas über den Terroranschlag in Istanbul heute. Immerhin sind da Menschen mit deutschem Pass Opfer geworden!"

"Tschuldigung, ich komme leider nicht hinterher. Ich bin noch am Verarbeiten der Terroranschläge in Tel Aviv und in Hurghada. Außerdem verzweifle ich nebenbei noch über die verhungerten Kinder in Madaja und die toten Schüler in Andschara. Ich komm nicht hinterher."

"Aber! Da sind doch Deutsche betroffen!"

"Ähm. Und? Meine Trauer und mein Mitgefühl machen sich nicht an Nationalitäten fest. Die Farbe von Pässen geht meiner Traurigkeit am Arsch vorbei. So ist die nun mal, meine Traurigkeit. Sie braucht Zeit. Für jede und jeden. Und da bleibt nicht viel in diesen Zeiten. Sie ist ganz atemlos, so furchtbar atemlos zurzeit, meine Traurigkeit."
Kluge Sätze vom Herrn Precht: "Aber wenn man sich philosophisch und historisch mit Religionen beschäftigt, sieht man, dass sie Menschenwerk sind, nicht Gotteswerk. Aber man kann natürlich trotzdem einem Glauben anhängen, wobei ich Glaube und Religion sorgfältig voneinander trennen würde. Religion ist ein weltliches Herrschaftsinstrumentarium. Glaube hingegen ist das, was übrig bleibt, wenn man die Grenzen von Verstand und Vernunft erkannt zu haben glaubt. Für Glaube ist in der Philosophie allemal Platz, für Religion weit weniger."

Das ist das, was mir in der ganzen aktuellen Islamgedönsdebatte fehlt: Lasst uns über Religion reden, ja. Ganz grundsätzlich und so, dass es jeder verstehen kann und dann schauen wir uns die großen Religionen an und, upps, wir werden vielleicht feststellen, dass die Gemeinsamkeiten in all ihrer Ungeheuerlichkeit größer sind als die Verschiedenheiten. Ich habe überhaupt keinen Bock darauf mich über Islam, Christentum, etc. in heiße RechtfertigungsKreiselDiskussionen zu verfangen. Ich will da raus. Ja, ich halte Religion, egal welche, für ein Instrument der Macht und Gierigkeit und der Verdummung.

Glauben kannst und darfst du, was du willst. Das ist ganz und gar deine private Angelegenheit. Religion jedoch ist niemals privat und erhebt immer den Anspruch der absoluten Wahrheit, der Deutungshoheit über die Welt und den Menschen, gibt vor, was Recht und Unrecht sei und hat den ihr immanenten Drang der Missionierung. Egal, wie sie sich nennt und egal, wer sich gerade ihrer bedient.


Und so ändere ich den obigen Satz vom Herrn Precht für mich: Für Glauben, für deinen und deinen und deinen ist in meiner Welt immer Platz. Für Religionen nicht.

8.1.16

Da schreibt „Die Welt“ ganz locker „Jeder, der bisher für die Flüchtlinge eintrat, sieht durch die Übergriffe von Köln seinen guten Willen geschändet.“ Ich nenne so eine Überschrift schlichtweg Brandstiftung.

 Als ich fühle mich in meinem guten Willen und meiner Hilfsbereitschaft nicht "geschändet". Was für ein Begriff überhaupt *grummel … Wenn solche Vorfälle wie Silvester mich von meiner Menschlichkeit, meiner Hilfsbereitschaft, meinem Mitgefühl abbringen könnten, wenn sich mein Welt- und Menschenbild dadurch grundlegend verändern könnte, dann wäre ich schon seit Jahrzehnten ein wandelnder Eisblock bei all dem Unsäglichen was der Mensch dem Menschen so antut.

Auf der anderen Seite, weil mir ja immer Blauäugigkeit unterstellt wird: Ja, ich bemerke seit Jahren, dass die Aggressionen im öffentlichen Raum, besonders  wenn sich Gruppen zusammen finden (Nationalitäten sind mir da egal) , zunimmt. Und ich frage mich jedes Mal, wenn ich damit konfrontiert werde:

1. Warum explodiert das nicht mehr und heftiger, bei Zunahme von all dem Elend, der Ungerechtigkeit, der Diskriminierung, der gesamtgesellschaftlichen Kälte?
2. Wie gehe ich als einzelner Mensch konkret damit um, wenn ich aus einem kommunikationsfähigen Subjekt plötzlich zum Objekt von unreflektiertem Hass und von Gewalt werde?

Die Antwort auf die erste Frage lasse ich hier mal weg, denn dazu müsst man weit ausholen. Beantworten kann ich aber die zweite Frage: Ich wehre mich, ich schreie, tobe, hol mir Hilfe, schlag zurück, versuche zu überleben und wenn das gelingt mich an der Strafverfolgung im Rahmen des Gesetzes zu beteiligen. Auf der Metaebene bemühe ich mich standhaft darum nicht genauso ein unreflektiertes menschenverachtendes Arschloch zu werden wie die. Kein Spaziergang das Ganze.

„Mir persönlich machen nicht die vermeintlich kriminellen Flüchtlingshorden, sondern die immer stärker werdenden rechten Gruppierung wie PEGIDA; AfD und Co. Sorgen und daß statt diesen mit Aufklärung begegnet wird, werden sie noch hofiert. Es ist dieser Rechtsruck der bürgerlichen Mitte, die besorgniserregend ist.“

„Guck, man denkt sofort nur an "Flüchtlinge". Ich schrieb aber, sehr bewusst, dass ich seit Jahren die Erfahrung von steigender Gewalt und Aggression im Öffentlichen Raum mache und da gab es diese große Zuwanderung doch noch gar nicht. Ich rede von Gruppen, die sich zusammenfinden, nach der Feier, vor der Feier, oder einfach auf Plätzen und auf der Straße, in den U-Bahnen, in den Parks, meistens betrunken, (wie nennen die jungen Leute das? "Vorglühen“?) meistens junge Männer, aber manchmal auch junge Frauen und aus denen heraus plötzlich eine Gewalt springt, die dich einfach überrollt. Und ja, ein Teil dieser Leute finde ich jetzt auch in der rechten Szene wieder. Aber nicht nur.“

„Ein Faktor bei diesem Anstieg dürfte in der vermehrten Perspektivlosigkeit vieler liegen, der gesamten gesellschaftlichen Kälte, jeder soll sich optimieren, jeder steht in Konkurrenz zum anderen, um den Arbeitsplatz und so weiter.“

„Siehst du und genau dieser Diskurs wird zurzeit nicht mehr geführt, weil sich alles um die paar (ja, es ist eine Minderheit!) Deppen von Pegida, AfD, etc. dreht und dreht und dreht. Dabei wären das die nachhaltigeren und viel wichtigeren Diskussionen: Was passiert in unserem Land, wenn immer mehr Menschen in die Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit abgedrängt werden? Was macht das mit einer Demokratie? Und all das, was da an Analyse etc. dazu gehört, ist einfach weg vom Tisch jetzt.“

Ergänzung: Ursachen? Zusammenhänge? Besteht wenig Nachfrage zurzeit. Alles hetzt von Empörung zu Empörung. Die moderne Form der altbekannten "Brot und Spiele" Szenarien. Es ist so banal: Es ist so ausgesprochen entlastend, zumindest kurzfristig, in Empörung und Hass zu schwelgen. Das kleine, kaputte, weinende, sehnende Ich kann sich für Momente groß und stark fühlen.  Und die großen Ichs, die, die sich in ihrem pathologischen Narzissmus und ihrer Psychopathie behaglich eingerichtet haben, gehen mittlerweile weiter ihren dreckigen Geschäften nach.

Das hat mich schon immer traurig gemacht: Was für eine Energie da verschleudert wird in Selbstzerfleischung der eigentlichen Mitstreiter alleine durch die falsche Stoßrichtung. Boah, wenn die in die richtige Richtung laufen würde, für Menschlichkeit und Miteinander, dann würden die Soziopathen an der Macht aber dumm aus der Wäsche schauen. Und damit schließt sich der Kreis.
Ein Nebeneffekt, nicht erst seit Silvester: Du kannst über kaum ein Thema in den sozialen Netzwerken mehr schreiben, ohne das dir das Flüchtlingsthema (oder/und Argumente aus diesem Themenkreis) dann relativierend um die Ohren geknallt wird. Egal ob es um Gewalt gegen Frauen und Kinder, Armut, Ausbeutung, Überwachung, Kriegstreiberei und vieles mehr geht, sofort tauchen Leute auf, die dir erklären zu meinen müssen, dass dies alles mit der Migration zu tun hat. Seid ihr alle bekloppt?

Man müsste jetzt quasi jeden Beitrag, jeden Kommentar mit der Eröffnung beginnen "Unabhängig von Migration und Flucht ..." ... Und nützen würde es trotzdem nix.

6.1.16

„Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker auf der Pressekonferenz am 5. Januar © Wolfgang Rattay/Reuters
… Reker hatte auf einer Pressekonferenz zu den Übergriffen in der Silvesternacht vor dem Kölner Hauptbahnhof angekündigt, die Verhaltenshinweise zu aktualisieren, wie Frauen sich auf Partys verhalten sollten. Zu den Regeln gehöre zum Beispiel, zu Fremden eine Armlänge Distanz zu halten, sagte Reker in der Pressekonferenz auf die Nachfrage einer Journalistin. Zudem sollten Frauen darauf achten, unter den eigenen Freunden zu bleiben und sich von diesen nicht trennen zu lassen.“


Was für ein Verhaltenstipp an Frauen: Wenn ich jetzt raus gehe, soll ich möglichst Abstand zu mir fremden Männergruppen halten und nicht alleine gehen. Ähm ... nun ja ... das klingt so nach: Zieh dich ordentlich an, sonst bist selbst schuld, wenn dir was passiert! oder, noch besser: Zieh ne Burka an, damit du Männer nicht mit deinen Reizen reizt! oder "Was machst du auch alleine nachts auf der Straße als Frau! ... Gehts noch?! Und wenn ich nackt über die Zeil tanze, gibt das niemanden das Recht mich zu belästigen oder mir Gewalt anzutun! Wobei ich dann wohl in Köln und Hamburg eh an Silvester nicht belästigt worden wäre, denn ich hätte ja nackt nix zum Klauen bei mir gehabt. Von der ganzen widerlichen Instrumentalisierung durch die rechten Rattenfänger mal abgesehen, nimmt dieser Diskurs mittlerweile Züge an, die mich als Frau nur anwidern.

Sind unsere Städte jetzt für Frauen gefährlicher geworden?

Mein ganz und gar subjektiver Eindruck aus Frankfurt (der soooo gefährlichen Stadt): Ich habe mich mit 18, und das ist jetzt 41 Jahre her wesentlich unsicherer Nachts alleine auf den Straßen gefühlt, als heute. Mann könnte jetzt sagen, in meinem Alter falle ich eh nicht mehr ins Beuteschema potentieller Gewalttäter. Es geht aber ja nicht nur mir so, sondern meinen jungen Mädels auch. Die verstehen gar nicht mehr, wenn ich ihnen erzähle, wie das war, als ich jung war: Da konnste nicht in eine überfüllte Tram einsteigen, weil dir dort sicher irgendwer an den Hintern gefasst hat beim Drängeln und du hast den Mund nicht aufbekommen, weil du wusstest, sie würden über dich herfallen mit Argumenten wie: Wie siehst du auch aus! Irgendwas musst du ja getan haben, sonst wäre das ja nicht passiert! Was biste auch alleine unterwegs! Heute schreist laut, knallst dem Typen eine und er hat Glück, wenn er nicht von den Mitreisenden zusammen geschlagen wird. Im besten Fall, für ihn, wird er festgehalten bis die Polizei kommt. Und in der Nacht, wenn du aus dem Club kommst, dann brauchst nur laut werden, und schon sind ein paar Leute da mit Handys und auch tatkräftig und helfen dir. Es gibt bestimmt noch mehr Beispiele, aber die spar ich mir hier. Nein, ich finde es in meiner Stadt nicht gefährlicher, im Gegenteil. Auf der anderen Seite: Ja, organisiertes Verbrechen auf der Straße nimmt zu. Die Gründe dafür sind vielfältig, die RuckelzuckelMentalität beim Zugriff und bei der Verurteilung sind mir ein Rätsel und ich frage mich immer öfters, ob es am NichtKönnen oder NichtWollen liegt.

Anstieg des Organisierten Verbrechens, Raub und Diebstahl auf den Straßen.

Mir ging gerade so durch den Kopf: Organisiertes Verbrechen und die zaghaften Versuche von Polizei und Staatsanwaltschaft, das nachhaltig in den Griff zu bekommen. Nun, vielleicht erinnere ich mich falsch, aber gab es da nicht schon immer wieder mal eine Vernetzung und Kungeleien zwischen Staatsmachtvertretern und Milieu? Und standen hinter dem raubenden und gewalttätigen Fußvolk nicht immer auch irgendwelche Herrschaften, die mit anderen Herrschaften zusammen ab und an kumpelhaft soffen und hurten? Ist das alles Vergangenheit? Ich weiß ja net, ich weiß ja net.

2.1.16

„Frau Müller, Sie haben ja zwei Kinder groß gezogen, haben jetzt ein Enkelkind im Haus und öfters in Ihrem Leben mit Kleinkindern gearbeitet. Was waren und sind Ihre pädagogischen Grundsätze?“

„Kinder sind kleine Menschen, denen es an Erfahrungen fehlt. Beim Machen dieser Erfahrungen begleite ich, viele werden durch mich ermöglicht. Ich zeige ihnen, wie ich es mache und schau mir an, wie sie es machen. Davon lernen beide Seiten. Ein wechselseitiger Prozess. Liebe, Respekt, Achtsamkeit sind die Zutaten von meiner Seite. Trotzdem gibt es ein Machtgefälle, das zu leugnen, wäre eine Lüge: Ich bin erwachsen, sie sind Kinder. Das verwische ich nicht, sondern benenne es in den jeweiligen Situationen konkret. Meint, es gibt Situationen, in denen bestimme ich. Ohne Wenn und Aber. Dafür gibt es Regeln. Die werden erklärt und immer wieder überprüft. Es sind nicht viele und sie verändern sich im Laufe der Entwicklung des Kindes. Beispiel: Überqueren der Straße an der Hand, in meinem Beisein, alleine. Das Belohnung-Strafe-System als Erziehungsmittel lehne ich ab. Ich freue mich mit dem Kind, wenn es etwas geschafft hat; ich ermutige es, es wieder zu versuchen, wenn es noch nicht klappt; ich erkläre Konsequenzen für Regelbruch (wie gesagt, es gibt eine überschaubare Anzahl von Regeln) und halte diese konsequent ein. Wenn ich Fehler mache, dann rede ich drüber und entschuldige mich. Und, und … ach, wir wollen hier doch kein Buch schreiben. Das Wichtigste ist: Kinder lernen durch Vorbild. Also liegt es an mir und an meiner Arbeit an und mit mir, was da gelehrt und gelernt wird.“

„Ein Beispiel vielleicht noch über eine Regel, die nicht zu den pragmatischen gehört wie das ÜberdieStraßegehen?“

„Na ja, wichtig war mir bei meinen Kindern: Wir lügen uns nicht an. Nicht weil Lügen an sich schlecht sei, sondern, weil es Vertrauen bricht und die Intelligenz des Gegenübers beleidigt. Zu lernen gilt: Es gibt nichts, aber auch gar nichts, über das man nicht reden könnte. Hartes Brot, auch für die Erwachsenen. Wir lügen und schummeln im Laufe des Alltags mehr, als ich je vermutet hätte. Und da wir Vorbilder sind, heißt das immer wieder reflektieren, dazu stehen, laut benennen, lernen es anders zu machen.“

„So wie Sie das formulieren, erscheint Erziehung als harte Arbeit, Frau Müller."

„Nennen wir es nicht Erziehung, sondern das zusammen Leben mit heranwachsenden Menschen. „Erziehung“ hat für mich immer den Geschmack von oben nach unten. Das widerspricht aber meinen Erfahrungen. Es ist ein beidseitiges Geben und Nehmen und gemeinsames Lernen und Wachsen. Und ja, es ist arbeitsintensiv. Auf der Erwachsenenseite vor allem Arbeit an sich selbst. Läuft irgendwas schief mit und bei dem Kind, dann muss ich zuerst bei mir gucken. Das Kind spiegelt mich und meine Art des Umgangs mit mir und ihm. Bleibe ich in kritischen Situationen bei mir, erledigen sich die meisten starren Erziehungskonzepte ganz von selbst. Eine sehr bereichernde Arbeit, ja. Ach, und vielleicht noch das: Perfektion gibt es nicht. Alles ist im Fluss, Fehler sind Lehrmeister und liebevoller Umgang mit sich selbst und anderen ist das Schmieröl für lebendige und freudvolle Beziehungen, auch mit den Kindern. Das lehren sie uns nämlich und sind voller Verständnis für den Mist, den wir da ab und an bauen.“

1.1.16

Jahresrückblick? Zwei Worte langen. Knie und Lina. Von Dezember bis Oktober behindert durch kaputtes Knie mit Krücken und allem Drum und Dran. Das zweite Lebensjahr zusammen mit meiner Enkelin im gemeinsamen Haus. Lehrreich war beides.