27.1.21
Ich gehöre zur Generation der Nachgeborenen. Bin
aufgewachsen in einem schweigenden, verdrängenden und gesellschaftlich
geleugneten Schrecken. Ich war nicht beteiligt, ich war nicht dabei, ich war nicht
schuldig. Keine Zeitzeugin und doch eine Bezeugerin des Grauens, das mir durch
die Vorgeborenen kübelweise vor die Füße und in die Seele gerotzt wurde.
Es hat viele Jahre gedauert, bis ich das Unsägliche
begreifen lernte. Noch bin ich nicht fertig damit. Nicht fertig mit dem
Begreifen, mit der Fassungslosigkeit und nicht mit dem unaufhörlichen Entsetzen.
26.1.21
Wäre ich jünger,
würde ich mich ja laufend schwängern lassen und anschließend abtreiben. Warum?
Weil die „Website“ meiner Ärztin so ansprechend aufgemacht und informativ ist.
Wessen Hirn noch nicht ganz durchgeknallt ist, bemerkt den
Schwachsinn in dieser Argumentation. Hoffe ich zumindest. Oder?!
Allein, dass die sachliche Information über das medizinische
Verfahren eines Schwangerschaftsabbruches in den Kontext mit dem Begriff „Werbung“
gebracht wird, ist eine bodenlose Unverschämtheit. Bäh!
25.1.21
In mir tobt ab und an das kleine Kind, heult die Pubertierende
rum, explodiert die Zwanzigjährige ob all dem Scheiß und den Ungerechtigkeiten
in der Welt, doziert die angehende Mittdreißigerin lang und ausdauernd über
jedes, wirkliche jedes Thema, verlässt die abgenervte Fünfzigjährige oft für ganze Tage
das Haus, die Sechzigjährige überdenkt laut ihr bisheriges Leben und wechselt
nochmals die Spur und die Hundertjährige grummelt ihr „Das sag ich doch schon
seit Jahrzehnten!“ unablässig vor sich hin. Und ab und an huschen seltsame
Wesen aus Dachböden und Kellern durch die Flure, rütteln am Gerüst und drohen
alles einstürzen zu lassen.
Manche nennen das großspurig das „Innere Team“, für mich ist
es einfach mein innerer Mehrgenerationenhaushalt. 😊
20.1.21
Heute im Homeschooling Sätze schreiben zum Thema „Glück“.
Frage: Wann bist du glücklich?
KleinMadame: „Wenn der Onkel Saba kommt.“
Frage: Wann machst du andere Menschen glücklich?
KleinMadame: „Wenn der Opa meine alten Sachen den armen
Kindern gibt.“
(*Anmerkung: Der Opa nimmt die Sachen mit in den Iran und
verschenkt sie dort, wo sie gebraucht werden. KleinMadame wählt da sehr genau
und großzügig aus.)
Ich liebe dieses Kind.
19.1.21
Büros sind voll.
Öffentliche Verkehrsmittel sind voll.
Produktionsstätten sind voll.
Schlachtereien sind voll.
Ski- und Rodelgebiete sind voll.
Voll. Voll. Voll.
Politiker entscheiden voller Enthusiasmus und nach langen Debatten
als heilbringendes Signal unter anderem: Nächtliches Ausgangsverbot.
Ähm. … Ähm. … … … Mir fällt dazu nichts Vernünftiges mehr
ein.
So wird das nix. Verdammt.
Ich halte mich seit März konsequent an alle Regeln. Würde
einen absoluten Lockdown ohne wenn und aber aushalten und mittragen. Aber so
wie bisher?
Ich fühle mich total verarscht. Punkt.
17.1.21
„Es war einmal kurz nach halb Eins, in der Nacht, da rief ich meine beste Freundin an, ob sie Lust hätte noch auf ein Tänzchen rüber in den Club zu kommen. Sie kam und wir haben bis zum Morgen zusammen getanzt. Danach haben wir uns heiße, frische Brötchen und einem Kaffee beim Bäcker an der Markthalle geholt und mit anderen Nachtschwärmern zusammen dort auf den Treppenstufen gefrühstückt und viel gelacht.“
„Oma, du erzählst uns doch Märchen!“
Ich hoffe so sehr, dass dieser Dialog niemals stattfinden
wird!
Irrationale Ängste? Klar, damit kenne ich mich auch aus. Ich
lasse mich von ihnen nur nicht ausbremsen, vom Weg abbringen oder mich gar in
den tiefen, dunklen Wald der verschwörungstheoretischen Verführungen locken. 😊
Sonntagsgedanken
Was mir in den letzten Wochen in Gesprächen (ja, ich
quatsche gerne, auch auf Distanz 😉 ) aufgefallen ist:
Das ständige, beharrliche und geschwätzige Bombardement von
verschwörungstheoretischem Unsinn, sowohl in den sozialen Medien, aber auch in
den sonstigen Medien oder gar im privaten Umfeld, macht etwas in den Köpfen von ansonsten diesem Quatsch so
gar nicht zugänglichen Menschen. Immer öfters höre ich: "Aber könnte es
nicht sein, dass an dieser oder jener Geschichte nicht doch was dran ist?"
Warum bloß?
Ich denke, es ist diese unsägliche Sehnsucht nach klaren und
einfachen Erklärungen für Dinge, die man sich selbst nicht mehr erklären kann.
Es ist der menschliche Drang nach Kontrolle über das eigene Leben. So sind wir
erzogen worden und in diesem Wertekanon sind wir fast alle aufgewachsen. In
einer Gesellschaft, in der der Einzelne weitgehend für sein Schicksal selbst
verantwortlich gemacht wird. Im Großen und Ganzen recht praktikabel, solange
man in einem befriedeten Land mit einem, bei aller berechtigten Kritik, doch
recht umfänglichen sozialen Netzwerk aufwächst.
Und jetzt das: Da taucht ein blödes Virus auf (das man nicht
mal mit dem hauseigenen Kindermikroskop sehen kann), und auf einmal brechen alle
vorgeblichen Sicherheiten unter unseren Füssen weg. Gleichzeitig werden bisher
verdrängte Mängel, Fallstricke, Unzulänglichkeiten, Ungleichheiten unseres
gesellschaftlichen Systems greller sicht- und greifbar.
„Oh, unsere Gesellschaft ist gar nicht so stabil, sozial,
fürsorglich, fair und gerecht wie bisher angenommen? Scheiße, in welcher Welt
habe ich denn bisher gelebt?“
Da knallt eine Realität in das bisher behagliche Gemüt sehr
vieler Menschen, die sie sich bis dato geweigert haben wahrzunehmen. Für manche
bricht vielleicht sogar das gesamte bisherige Weltbild keuchend in sich
zusammen und der eigene Lebensweg stellt sich abrupt in Frage. Boah, das macht
Angst und verunsichert abgrundtief. Das verstehe ich. Auch den Drang nach
schnellen, einfachen Erklärungen, Schuldzuweisungen und Abwieglungen. Schnell,
schnell eine gedankliche Decke, ein theoretisches Gerüst, damit das Reale nicht
mehr so drückt und schmerzt oder gar zu neuen Handlungen und einer völlig
anderen, eigenen sozialen Verantwortung drängt.
Ich verstehe es. Punkt. Die sich daraus entwickelnde Sehnsucht
nach neuen, alten Führern, Gurus, populistischen Welterklärern, und all diese
Scheiß akzeptiere ich jedoch nicht. Niemals.
Tja, die Welt ist komplizierter als viele bis jetzt gerne
annahmen und je näher wir uns kommen, umso konkreter, sichtbarer und
widersprüchlicher werden die winzigen Teilchen unserer Weltwahrnehmung und das
zusammengesetzte Bild passt schlichtweg nicht mehr in den bequemen vorherigen
Rahmen.
Und nun? Wir, die wir weder alte/neue Nazis oder sonstiges
rechtes Gesocks sind, könnten es als eine Chance nutzen, innehalten und uns
ohne Furcht mit den realen Welten und ihren Zusammenhängen befassen. Ohne Streit,
ohne Lästern und ohne den Drang immer Recht haben zu wollen.
Ein guter Leitgedanke dabei wäre: Die Wahrheit, wenn es sie
denn wirklich gäbe, besteht aus unzähligen kleinen Wahrheiten, die sich zum
Teil auch noch widersprechen und beharken. Und doch ergibt sich daraus
vielleicht ein großes Ganzes, dass weder Angst macht, noch unsicher. Ein
Abenteuer, vielleicht. Eine Bereicherung, allemal. Für uns alle.
16.1.21
KleinMadame wir morgen 7 Jahre alt. Sieben Jahre begleite
ich nun diesen Menschen und stelle wieder und wieder fest: Sie ist eine
absolute Bereicherung. Für mich und für alle Menschen um sie drumherum.
Danke, dass ich für eine Weile Teil deines Lebens sein
durfte und darf.
*Anmerkung
Ich würde so gerne tausendundeins Bilder von ihr mit euch
teilen, damit ihr euch selbst ein Bild von ihr machen könntet. Von ihrem
Charme, ihrem Witz, ihrer Kompetenz und Eloquenz, ihrem so einzigartigen Zugang
zur Welt. Aber, weil die Welt so ist, wie sie ist, lasse ich es lieber bleiben.
10.1.21
Ein zentraler Text, der es auch mir viel verständlicher macht:
STURM AUFS KAPITOL:
Gebt mir ein Blutbad!
Wenn man die Bilder vom Ansturm im Innern des Kongresses sah, erkannte man, wie die zu schwachen Sicherheitskräfte beständig zurückgedrängt wurden. Hier wirkte wie insgesamt beim Ansturm das Gesetz der Masse in revolutionären Umständen. Und hier halfen keine eigenen Polizeikräfte des Kapitols mehr. Wenn sich solche Massen in Bewegung setzen, kann man sich ihnen mit den regulären, kommunalen Kräften nicht mehr entgegenstellen, es sei denn, man riskierte ein Blutbad. Möglicherweise hätten ganz zu Beginn Wasserwerfer noch geholfen.
Vizepräsident Mike Pence hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem er seinerseits eigenmächtig und vorzeitig – vor einem Blutbad – die Nationalgarde rief und die unkontrollierte, aber von Trump erwünschte Eskalation verhinderte. Und die Nationalgarde folgte einer für Trump kontraproduktiven, deshalb großartigen Regie. Sie drängte die Menschen zurück, machte die Treppen des Kapitols frei und stellte die umgerissenen Barrieren wieder auf. Weil das unblutig ablief, konnte Trump nicht mehr militärisch zuschlagen. Er kündigte aber an, dass der Kampf weitergehe, dass er die Wahl nicht verloren habe und dass er die Aufrührer „liebe“ und sie etwas „Besonderes“ seien.
Es fehlte nur der letzte Baustein zur Ausrufung des Notstands, in dem Trump als militärischer Befehlshaber befugt gewesen wäre, alle Ausnahmekompetenzen wahrzunehmen. Dass er die Nationalgarde vor einer an die Wand gemalten Bürgerkriegssituation „gegen Terroristen“ einzusetzen bereit ist, hat er schon bei den „Black Lives Matter“-Protesten bewiesen, als er die Kräfte ungerufen in einen einzelnen Bundesstaat gegen den Protest von dessen Gouverneurin schickte. Sein früherer Verteidigungsminister hatte sich geweigert, militärische Kräfte in Washington einzusetzen, weil das nicht Aufgabe des Militärs sei – und wurde deshalb entlassen. Der neue Verteidigungsminister war demgegenüber willfährig.
8.1.21
5.1.21
3.1.21
2.1.21
Was machen die gerade für ein Theater wegen den Schulen. Die
tun so, als hätten die Kinder seit April keinen Unterricht gehabt. Jesses. In
Hessen sind zum Beispiel immer noch Weihnachtsferien. Davor gab es 3 Tage
früher frei, für die Kinder, die zuhause bleiben konnten. Also bis jetzt wurde
da nichts Großartiges versäumt. Dabei fällt mir ein, dass bisher auch niemals nach
den Sommerferien kein extremer Bildungseinbruch bei den Schüler*innen stattfand.
Also worum geht es eigentlich? Um das Wohl der Kinder, oder um das Wohl der verquasten
Beschulungssysteme? Wenn es wirklich um das Recht auf Bildung ginge, dann hätte
man spätestens seit März Geld in die Hand nehmen und die Schulen entsprechend
sanieren, umbauen und die Lehrer, Eltern, Schüler im digitalen Lernen schulen
können. Man hätte ausgefeilte und flexible Beschulungspläne ausarbeiten und erproben
können. Hat man nicht gemacht. Also nochmal, worum geht es eigentlich?
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