„Frau Müller, schauen Sie sich Filme an, lesen Sie Bücher,
goutieren Sie Kunstwerke und Musikstücke auch von Menschen, von denen sie
wissen, dass diese menschlich versagt haben. Also Betrüger, Lügner, Gewalttäter
waren?“
„Ja. Ich habe schon sehr früh in meinem Leben diese Entscheidung
getroffen ( war übrigens Karl Marx, der mich dazu brachte) und ich habe sie mir
nicht leicht gemacht und komme auch immer wieder an meine Grenzen dabei. Ich
trenne zwischen Werk und Autorin/Autor, etc., und nehme aus ihren Werken das
mit, was mit genehm ist. Das ändert jedoch nichts daran, dass ich ihr allgemeines
oder spezielles Tun aufs heftigste kritisieren und ablehnen kann. Das sind für
mich persönlich zwei ganz unterschiedliche Ebenen. Ganz pragmatisch: Wenn ich diese
Trennung nicht vornehmen würde, dann würde mir eine Menge an Wertvollem, ja
allereigentlich fast alles, aus dem literarischen, künstlerischen,
philosophischen Schaffen der Menschen in Geschichte und Raum entgehen. Banales
Beispiel: Alice Miller. Sie hat wunderbare Türen zum Verständnis von Gewalt
gegen Kinder eröffnet und war doch selbst eine erbärmliche, vernachlässigende
Mutter. Trotzdem halte ich ihre Texte
für wesentlich und in Teilen wunderbar. Oder nehmen Sie andere Beispiele, die
Ihnen persönlich wichtig erscheinen. Würde ich nicht trennen, dann wäre ich
viel ärmer an Wissen und Verständnis.“
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