21.9.12

(Auszug aus einer Diskussionsrunde im Netz über die Hartz IV Erhöhung um 8,-- Euro)

„Wer arm ist an Geld, ist arm an Ideen.“
Das ist einer der verquertesten Sprüche, die ich kenne.
Nur "Ideen" zu haben ist Quatsch. Denn ohne Anschubfinanzierung lassen sich Ideen auch nicht umsetzen. Also müssen es schon die "richtigen" Ideen sein, die potentiellen Investoren gefallen. Und dann muss nicht nur die Idee gefallen, sie muss auch noch Gewinn/Ertrag bringen und anderen ihren Gewinn nicht schmälern. Außerdem muss auch noch deine Nase gefallen, deine Person, dein Umfeld, deine Geschichte, dein Charakter... Ach Herrjeh, manche bleiben dann arm an Geld und geldwerter Arbeit, aber reich an Ideen, ehrenamtlichen Projekten, einem sonnigen Gemüt und einem Herz wie ein Vulkan. Nur satt, satt wird man davon immer weniger. Und das ist nicht gerecht. Punkt.
"Vom Tellerwäscher zum Millionär" <- war da nicht mal etwas? ... Ja, die gab und gibt es, diese Menschen, die aus dem Nichts heraus eine Existenz aufgebaut haben. Unbesehen. Es gibt auch die, die im Lotto gewinnen und es nicht verprassen, sondern in das neue, eigene Unternehmen stecken oder die im DSDS gewinnen und dies als Chance nutzen, und, und.... es gab auch Gladiatoren, die die Arena lebend verlassen und Sklaven, die mit ein wenig Land in die Freiheit entlassen wurden. Ja, das alles gab und gibt es. Ich bin kein Mathefreak, aber mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass dies in Relation zu all denjenigen, die das nicht erreichen konnten, eine sehr kleine Zahl ist. Daraus jedoch in einer hoch zivilisierten Gesellschaft die Norm und den Wert zu kreieren "wer arm ist, hat keine Ideen" ist schon recht anmaßend und betriebsblind. Ich bin eine vehemente Anhängerin der Haltung: Beweg deinen Arsch und tu was! und ich lehne es ab, dass immer wieder Herkunft, Umstände, kleine Befindlichkeitsstörungen, etc. als Ausreden herhalten müssen für die eigene Bequemlichkeit, für die Angst, für verdeckte Schuld und so ein Zeugs. Aber! und dieses ABER ist ein ganz dickes: Es gibt gesellschaftliche Zustände, Wirtschaftsfaktoren, systemimmanente Machtverhältnisse und Verspinnungen, die es dem Einzelnen unmöglich machen, auch wenn er noch so will und kann und vor Ideen und Energie noch so sprudelt auch nur einen Fußbreit auf den Boden zu bekommen. Das ist für mich Realität. Realität ist für mich aber allerdings auch, dass jeder Mensch die Wahl hat, sich damit abzufinden und in Traurigkeit, Starre, oder Verzweiflung zu fallen, oder sich zu wehren, sich einzubringen, laut zu werden oder sei es nur, dass er aussteigt aus dem System, Arbeit und Glück für sich neu definiert. Aber auch dann gilt: Zuerst kommt das Fressen und dann kommt der ganze Rest.
Übrigens geht mir seit Beginn der Diskussion der Begriff "geplante Obsoleszenz" durch den Kopf. Was ist denn mit den Wissenschaftlern und Technikern, die ja nur so sprudel(ten) vor Ideen, aber auf dem Markt nicht ankommen, weil sie Produkte erfanden oder erfinden, die ein langlebiges Haltbarkeitsdatum haben, aber keine Lobby hinter sich.
Was ist mit den ganzen Ideengebern im sozialen Bereich, die den Auftrag der Sozialarbeit ernst nahmen, nämlich sich selbst und ihre Tätigkeit überflüssig zu machen? Was ist mit den ganzen Mittelständischen und den kleinen Familienbetrieben, die von den großen Ketten und Konzernen vom Markt geschmissen werden? Was ist mit den Bauern, die ihre Höfe aufgeben müssen, weil Mais für die Biogasherstellung höher subventioniert wird als Getreide und die, die Zerstörung der Felder dadurch nicht mitmachen wollen und lieber aufgeben? Was ist mit den kleinen Lokalbetreibern, die hinschmeißen müssen, weil Gema Gebühren in astronomische Höhen wachsen? Was ist mit der alleinerziehenden Mutter, die keinen Job findet, weil sie keinen Krippenplatz für ihr behindertes Kind findet.... Och, da könnt ich jetzt stundenlang weiter aufzählen.... Nein, es ist nicht immer nur das eigene Versagen, die eigene Leistungsunwilligkeit, die eigene "Schuld", der Mangel an eigenen Ideen.
Die Welt ist ein bissl verzwickter.
"Nun, das haben manche noch nicht begriffen."
Oh, er, du, Sie muss doch nichts begreifen. Darum geht es mir nicht. Jeder hat seine eigene Landkarte von Welt und wenn jemand damit zufrieden und glücklich ist, dann ist das doch okay. Und ich lass mich gerne einladen, mir diese Landkarten anzusehen und vielleicht daraus etwas zu lernen. Da find ich gut. Es ging/geht mir nur darum, dass ich zornig werde, wenn daraus allgemeingültige Wertmaßstäbe, verallgemeinernde Normen, und moralische Imperative oder gar unreflektierte Schuldzuweisungen gemacht werden.

Zwei Links, die mich in den letzten Tagen umtrieben und die vielleicht in diesen Gesprächssplitter ganz gut passen:


9.9.12


„Wie schreibe ich denn?! Ganz frei, ganz ohne Bedenken. Nie weiß ich mein Thema vorher, nie denke ich nach. Ich nehme Papier und schreibe. Sogar den Titel schreibe ich so hin und hoffe, es wird sich schon etwas machen, was mit dem Titel im Zusammenhang steht. Man muss sich auf sich verlassen, sich nicht Gewalt antun, sich entsetzlich frei ausleben lassen, hinfliegen –. Was dabei herauskommt, ist sicher das, was wirklich und tief in mir war. Kommt nichts heraus, so war eben nichts wirklich und tief darin und das macht dann auch nichts.“ Peter Altenberg