27.2.16

„Gestern Abend im "Hexenkessel" in Langenselbold. Tisch war reserviert. Bevor wir noch die Getränke bestellen konnten, kam die Besitzerin an den Tisch und meinte, wir sollten bitte gehen. Begründung: Sie wolle keine Zigeuner in ihrem Lokal. Sie habe schlechte Erfahrungen mit solchen Leuten und könne uns ihren anderen Gästen nicht zumuten.“

Ich nenne das Rassismus.

Sippenhaftung. Irgendwie dachte ich, das sei Geschichte. Ich habe das vor vierzig Jahren erlebt, als ich den Vater meiner Kinder heiratete. Es ist Iraner und es war oft ein Spießrutenlaufen. Es schien mir mit den Jahren besser geworden zu sein. Nun, ich habe mich wohl geirrt. Es war anscheinend nur ein Luftholen. ... Luftholen. Genau, dir bleibt die Luft im Hals stecken vor Empörung. Und da ist dann so ein Gefühlgemisch aus Wut, Verständnislosigkeit und ... Scham ... Wieso eigentlich Scham? Demütigung, irgendwie erzeugt Demütigung auch Scham. Was für ein widerliches Gemisch. Wie müssen sich Menschen fühlen, denen das Tag für Tag immer wieder geschieht?

Traurig machte mich der Kommentar des Freundes: "Ach komm, das erlebe ich laufend." Und dann tat er so, als würde es ihn nicht jucken, weil es ja alltäglich ist. ... Leute, das macht etwas mit einem, das steckt man nicht einfach weg. Da bist du ordentlich, arbeitest, bist freundlich, hilfsbereit und bürgerlich engagiert, deine Familie lebt seit mehr als hundert Jahren hier und dann bekommst laufend eines in die Fresse, weil du die Sprache deiner Volksgruppe nicht sterben lassen willst, weil du Traditionen pflegst, weil ... Ach, ich weiß auch nicht warum eigentlich. Es ist zum Kotzen.
„Ich bin Sinti. Manchmal schäme ich mich für meine Leute, wenn sie wieder irgendwo irgendwelchen Shit machen.“

„Was für ein Blödsinn. Ich bin Deutsche, da käme ich ja aus dem Schämen überhaupt nicht mehr raus.“

„Oh, Deutscher bin ich auch noch.“

„Ja, und Europäer, Weltenbürger, Mann, Mensch. So viel Lebenszeit hast du ja gar nicht, um dich für alles und jeden fremd zu schämen. Fremdschämen ist Scham im luftleeren Raum. Also für die Katz und verschwendete Energie. Bleib bei dir. Leb nach deinen Regeln und nach herrschendem Recht und Gesetz. Wenn du Mist baust, dann übernimm die Verantwortung dafür. Steh gerade dafür, wer du bist und für das was du tust und nicht tust. Damit hat es sich. Für Scham gibt es da keinen, aber auch gar keinen Platz.“

(Aus einem Chat, mit Erlaubnis.)

21.2.16

Als ich jung war, also so vor um die paarundvierzig Jahre, da bin ich durch ganz Europa getrampt. Meistens alleine, manchmal habe ich mich für ein paar Wochen einer Gruppe junger Leute angeschlossen. Überall wurde ich freundlich aufgenommen und mit Respekt behandelt. Ich glaub, ich war ein niedlich naives strahlendes Wesen, völlig unbekümmert und zutraulich. Wenn mein Geld all war, habe ich mal in einem Geschäft, auf einer Plantage oder in der Weinlese gearbeitet. Für Überfahrten habe ich auf den Schiffen die Klos geputzt. Vielleicht war es einfach nur Glück, aber ich habe mich immer beschützt gefühlt. Und nein, es waren nicht nur die „armen“ Leute, die das Wenige mit mir teilten. Sozialromantik lag mir schon damals nicht. Es waren halt einfach Leute, aus ganz unterschiedlichen Herkünften, die grundsätzlich freundlich zu mir waren. Ich habe eine Menge gelernt in diesen Zeiten. Das Wichtigste war: Ländergrenzen waren total irrelevant, denn die Geschichten, die ich in Portugal, Griechenland, Türkei, England, Italien hörte (ja, irgendwie schien ich schon damals die Leute einzuladen, mir ihre Geschichten zu schenken) ähnelten sich: Es ging um Freundschaft, Familie, Kinder, Arbeit, Glück, Ungerechtigkeiten, Liebe und den Tod. Ich lernte: Wir sind ganz unterschiedlich und doch so gleich in unseren Träumen, Sorgen, Wünschen, Ängsten und dem Glück. Und wir lieben alle Musik und wir lachen und wir weinen bei den gleichen Stücken. Ja, ich denke, diese Erfahrungen haben mich auch geprägt.  


13.2.16

Manchmal fällt auch mir nix mehr ein. Weil da ist so eine Leere und ich weiß gar nicht, wo ich da ansetzen könnte. Das sind so die Momente in kleinen, zufälligen  Gesprächen im Alltag mit Jugendlichen da möchte ich am liebsten auf Stopp drücken, aussteigen und gemeinsam viel Zeit verbringen. Teilen, vorleben, nachholen. Worte, die etwas in Bewegung setzen könnten,  finde ich da keine.

„Junge, warum gehst du nicht auf die Straße oder organisierst dich irgendwie für deine ganz und gar eigenen Interessen und für Frieden und Gerechtigkeit. Es ist doch deine Zukunft, dein Leben!“

„Ach ja? Hast du dir mal die Welt angeschaut, alte Frau? Klar darfst du demonstrieren und toben und reden und auf der Straße marschieren. Du darfst wählen und gewählt werden. Du darfst dich wehren und schreiben und öffentliche Reden halten. Du darfst dich sogar mit Andersdenkenden prügeln. Du darfst das alles und noch viel mehr. Aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Nur solange du dich noch innerhalb des Systems befindest. Das System ist sehr elastisch und hält eine Menge aus. Eine ganze Menge. Aber glaubst du wirklich, dass wenn es eine Bewegung gäbe, die den Reichen und Mächtigen wirklich zu nahe käme, die deren Existenz wirklich bedrohen könnte, glaubst du nicht, dass dann ganz andere Geschütze aufgefahren würden? Denen geht doch Menschenleben am Arsch vorbei. Kannst du jeden Tag sehen. Hunderttausende verrecken, jeden Tag. Es lässt sie kalt. Dabei müsste ein Tod schon langen, um alles zu verändern. Aber es sind Hunderttausende. Es ist ihnen egal. Wir alle sind nur wie kleine Mücken für die. Ich sehe da kein Ziel. Kein Licht. Keinen Sinn. Es wird sich am Ende nicht wirklich etwas ändern. Das ist doch kein Blockbuster mit Happyend. Da gibt es keine strahlenden Helden am Schluss, kein Sieg des Guten über das Böse. Nur Gemetzel. Also komm mir nicht mit dem Scheiß von Kämpfen für irgendwas. Wir haben doch schon verloren.“ 


Sagt was. 
Schlaflos in Neuberg geht mir so durch den Kopf, dass viele Politiker, die ich kenne, ihre persönlichen politischen Eckpfeiler ständig zeitnah an die Meinungsumfragen anzupassen versuchen. Das ist so, als würde der Milchbauer permanent mit dem Zaun hinter seinen Kühen herjagen. Leute, das kostet eine Menge Energie und hat mit Flexibilität, als Kompetenz, recht wenig zu tun. Außerdem ist es lächerlich. Äußerst lächerlich.  

11.2.16

"Gravitationswellen" ... Ah. Ja. ... Ich gestehe, ich habe mich da jetzt durch die aktuellen Artikel durchgelesen. Voller Freude. Nix verstanden. Aber begeistert. Vorallem huschte so ein leises Neiden durch mein Gemüt: Warum hatte ich bloß keine Neigung, Berufung für so einen Forschungsbereich in mir drin? Sooo schön. Inseldasein. Insidersprache. Weit, weit weg von all dem alltäglich konkreten Scheiß. Komplexe Welten, die umeinander kreiseln. Kindlich überschäumend tanzende Freude über ein Zirpgeräusch von vor ein paar Milliarden Jahren. "Es hat gezirpt!!!" Das muss sooooooo befriedigend sein. Aber nein, in mir drin nur dieser Drang nach pragmatischem Verständnis des weshalb, warum, wieso und wohin im alltäglichen Miteinander im Hier und Jetzt. So was Blödes. *snief

4.2.16

(Blitzlicht)

Manchmal weiß ich nicht mehr, weshalb, wofür, warum ich mich immer wieder darum bemühe, Menschen mit meinen blubbernden Worten und Gedanken zu erreichen. Dann bin ich müde, traurig, verzweifelt und nur noch am Weinen. Vier kleine Videos habe ich mir gerade angesehen. Hintereinander. Noch etwas  unausgeschlafen und dadurch distanzlos, so dass sie mir voll ins Gehirn knallten. Amateuraufnahmen wohl alle und deshalb sehr realistisch direkt. Nein, ich werde sie nicht verlinken, ich werde sie nur beschreiben, denn Schreiben rettet mich gerade. Im ersten Video ohrfeigt ein Mann in einer Gruppe von schweigend dabei sitzenden Menschen eine junge Frau.  Er tut es immer wieder und schreit dabei irgendwas in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Die Frau wehrt sich nicht. Immer wenn sie den Kopf hebt, schlägt er wieder zu. Keiner der Anwesenden rührt sich. Im zweiten Video hat ein Vater seine kleine Tochter (sechs bis acht Jahre alt schätze ich) gefilmt, nachdem  sie ihr erstes Tier getötet hat. Einen jungen Hirsch wohl. Sie zittert und kann nur völlig hechelnd flüstern. Er sagt ihr, wie toll sie das gemacht habe. Seine Stimme ist so ruhig und sanft. Sie kann das hilflose Zittern nicht kontrollieren, sie bebt am ganzen Körper, ihre Augen sind entsetzt aufgerissen. Doch sie folgt seinen Anweisungen und geht zu dem zuckenden Tier, hebt seinen Kopf am Geweih hoch und posiert. Im dritten Video sieht man einen Zusammenschnitt von Gewaltszenen gegen Frauen durch ihre Männer, Partner auf der Straße. Es sieht nach Amateuraufnahmen aus, verwackelt, etwas unscharf. In einer Szene schleift der Mann die Frau über die Straße. Unerwartet sieht man, dass sie ein Kind im Arm festhält. Er tritt und schlägt sie und trifft dabei auch immer wieder das kleine Kind. Im vierten Video, das wohl in Syrien gedreht wurde, versuchen Helfer kleine Kinder unter schweren Trümmern auszugraben. Man hört das eine Kind erbärmlich schreien. Andere sind wohl schon tot.
Diese Filmchen sind aus ganz unterschiedlichen Ländern/Kulturen und Zusammenhängen. Sie haben eines gemeinsam: Sie fressen sich in meine Magengrube und ich komme mir gerade so lächerlich vor mit all meinem Geschreibsel und Gemeckere über meine, unsere täglichen popligen Sorgen und Nöte hier. Ich komme mir so deppert naiv vor, wenn ich dann immer wieder versuche mein selbst gebasteltes positives Menschenbild in Bilder und Worte zu fassen gegen all den Hass und das Elend und gegen das Entsetzliche, was Menschen den Menschen antun. Vielleicht bin ich einfach nur blöd und feige und tue das alles nur um meine eigene Seele vor dem wimmernden Wahnsinn zu retten. Heute ist kein guter Morgen, nein, so gar nicht.
Ich könnte es natürlich auch sein lassen. Mir solche Dinge nicht mehr anschauen.
Nein, das kann ich nicht. Es sein lassen. Das geht nicht. Ich kann nicht so tun, als gäbe es solche Dinge nicht.
Nein, ich kann auch nicht aufhören an das Gute, Mitmenschliche, Mitgefühl im Menschen zu glauben. Denn die Menschen, die diese Filme teilen, sind ja gegen das, was dort geschieht. Sie wollen aufmerksam machen, wollen, dass dies aufhört. Und die Helfer, die die Kinder ausgegraben haben, tun dies voller Tränen und Verzweiflung. Aber sie tun es. Nein, es gibt auch diese andere Seite. Und es gibt so viele davon. Es gibt sie, gibt sie, gibt sie.
Verarsch ich mich selbst? Ich weiß es nicht.