16.9.15

„Ich finde es total prima, wie du dich in die neue Willkommenskultur einbringst! So mit Plakate malen und Händeschütteln und lachenden Selfies vor dem vollgepackten Auto mit Spenden. Echt Klasse!“

„Frau Müller, so ganz überzeugt freudig begeistert gelöst klingt das irgendwie nicht. Höre ich da im Hintergrund ein zweifelnd misstrauisch leises Grummeln?“

„Das ist nicht leise, das plätschert schon. Bis jetzt ist die Komfortzone des deutschen Bürgers doch noch nicht mal an leicht angestochen worden. Warten wir ab, bis Solidarität wirklich gefordert ist. Wenn es wirklich ums Teilen geht. Wenn es darum geht aus Mitmenschlichkeit, Solidarität und Veränderungswillen das eigene System von Macht und Gier und Bequemlichkeit in Frage zu stellen. Tut mir leid, meine Euphorie hält sich bis jetzt in Grenzen. Es wäre schön, wenn ich mich irren würde.“

14.9.15

„Fünfunddreißig Jahre in der gleichen Firma geschuftet, nebenbei drei Kinder groß gezogen, die Mutter gepflegt bis zum Tod. Der Mann hat sich vor Jahren zwecks Selbstverwirklichung verabschiedet. Die Kinder sind schon lange erwachsen, führen ihr eigenes Leben in anderen Städten und die Firma zieht um in ein Billiglohnland. Perspektiven? Schwierig. Der Körper streikt, die Seele fährt Stillstand. Jetzt sitzt sie schon seit sechs Wochen in der REHA Klinik und weiß nicht aus noch ein. So richtig zugehört hat ihr bis jetzt noch keiner hier. Wenn sie weint, so aus heiterem Himmel heraus, dann bietet man ihr Tabletten an, die sie nicht will, weil die, so sagt sie, ihren Kopf danach zum Dröhnen brächten und ihr die Hände einschliefen.“ …

Nur eine unter den vielen Geschichten, die ich mir an diesem total verregneten Wochenende hier in den stillen Ecken der Klinik angehört habe. Ich kann gar nicht so viel umarmen und festhalten, wie ich eigentlich müsste. Es macht mich traurig. ... ... ... Die Lebensgeschichten der Menschen hier erinnern mich an die Geschichten der Arbeiterliteratur aus den frühen zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. So grundlegend verändert hat sich da irgendwie nichts...


11.9.15

Frei nach José Ortega y Gasset/Arno Gruen: 

„Wir sind alle Schiffbrüchige im Strom des Lebens. 
Aber schiffbrüchig zu sein heißt noch lange nicht zu ertrinken.“