1.2.20


"Armut nimmt mitten im Wohlstand, 
mitten im Gesättigten unauffällig Platz."


Armut schweigt und schämt sich. Das hat mich immer wütend gemacht. Ich habe unsere zeitweise Armut nie verschwiegen. Weder vor den Kindern, noch im Freundeskreis, noch sonstwo. Das hat mir geholfen, immer. Wie oft wusste ich vor dem Ende des Monats nicht, wie das Essen auf den Tisch zu bringen sei. Da musste ich rödeln und kreativ sein. Beispielsweise an dämlichen Marketingumfragen in der Innenstadt teilnehmen, um entweder ein bissl Geld oder Kekse für die Kinder zu bekommen. Bücher und CDs verkaufen zu einem Spottpreis, oder kreatives Kochen mit billig Nudeln, Tomatenmark, Sardinnen und Tütensuppen üben. Um abgelaufene Lebensmittel bitten. Klamotten nur vom Flohmarkt. Möbel vom Sperrmüll. Und, und, und. Alles manchmal ganz schön nervenaufreibend. Verzweiflung? Nicht oft. Denn dafür hatte ich Zeit mit den Kindern, tolle Zeiten. Viel Ehrenamt auch und politisches Engagement. Letzteres denke ich, fehlt heute einfach und wäre ein wichtiger Faktor für Resilienz. Denn ein politisches Verständnis würde zumindest einige Menschen aus der elendigen, lähmenden "Ich-bin-schuld-Falle" führen und eingesperrte Energien freisetzen.

Was würde darüber hinaus helfen?

Aktive, niedrigschwellige Nachbarschaftshilfen initiieren, offene Gespräche über Armut, Enttabuisierung, Wissen und Erfahrungen teilen bzw. weitergeben, neue und alternative Formen der Selbstorganisation kreieren, die Menschen in ihrer Verzweiflung und Scham ernst nehmen, wahrnehmen, abholen. Das tägliche Überlebenspotential als starke, positive Ressource ansehen und für neue Aktivitäten fördern, Entsprechende Aus/Weiter/Fortbildung für relevante Bezugspersonen (Pädagogen, Lehrkräfte, Sozialarbeiter, etc.) Politische Lobbyarbeit. Und, und, und ... dafür müssten jedoch viele kluge, wertschätzende und liebevolle Menschen endlich aus ihren Status Türmen herauskommen und sich ernsthaft, (vor)urteilsfrei einlassen auf "die da unten". War früher mal ein wesentlicher Aspekt aktiver politischer Arbeit an der Basis.

Könnte man doch glatt wiederbeleben.

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