Sechsundfünfzig Jahre auf dieser Welt. Übermorgen. So viele
Gedanken und Erinnerungen. Was mich seit gestern Nacht umtreibt: Wie muss das
gewesen sein, 1956, als junge Frau mit nem Kind im Bauch, dass unehelich auf
die Welt kommen würde? War da Liebe? Gab es da überhaupt Raum für Freude? Wann hat
sie es der Familie gesagt? War da ein Streicheln und Summen durch die
Bauchdecke hindurch? Die Geburt? War sie
da alleine? War da dann ein Willkommen, vor dem Verleugnen? Sie hat es mir nie
erzählt. Ist diesen Fragen immer ausgewichen, bis zum Schluss. Es hat sehr
lange gedauert, bis ich ihr sagen konnte: Ich bin gerne deine Tochter und ich
danke dir dafür, dass du mich hast leben und überleben lassen. Ich bin mir
nicht sicher, ob sie es wirklich verstanden hat. Da war so viel elendig verwobene
Scham und Schuld und Zorn in ihr. Einen Teil davon habe ich ihr wohl in den
letzten Wochen ihres Lebens abgenommen. Das Gehen fiel ihr leichter. Ich habe
es gerne und in Liebe getan. Doch es wird nun Zeit, dass ich es ihr wieder
zurück gebe. Es gehört nicht zu mir. Verziehen? Schon so lange. Vergeben? Ja.
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