5.6.13


Schönheitswahn und Überdruss
(Puzzleteile)
Die eine kotzt sich die Seele aus dem Leib und die andere stopft sich mit Süßbatsch und Fetttriefigem voll. Verhungern tun sie beide.
Körper und Selbstwahrnehmung sind völlig verstört. Gib beiden ein Seil und lass sie ihren Körperumfang damit als Kreis auf den Boden legen. Der eine ist viel zu groß und der andere lächerlich klein. Nicht mal der Blick in den Spiegel hat die Macht dieses Selbstbild zu korrigieren. Was für ein innerer Film läuft da denn ab?
Der eigene Körper, entfremdet als Projektionsfläche für Modeschöpfer, Werbefachleute, Diätpillenhersteller, Kosmetikfirmen und Showstars zur Verkündung von Schönheitsidealen. Eigene Bilder werden damit so überlagert, dass die fremden Schablonen als eben solche fast gar nicht mehr erkannt werden. Doch unser Körper ist kein Satellit, der unabhängig und abgenabelt um uns kreist. Er wehrt sich, er macht sich bemerkbar, er will zur Kenntnis genommen werden. Und dann schmerzen die Schablonen, drücken und zwicken uns. Wir fangen an unseren Körper zu bekämpfen. Schämen uns für ihn und vielleicht hassen wir ihn sogar. „Du bist nicht perfekt!“ kreischen wir und malträtieren ihn mit Essensentzug oder bestrafen ihn mit Mästung. Alle Gedanken kreisen, kreisen, kreiseln nur noch um ein Ziel: Ich will so aussehen, wie die da auf dem Cover, der da in der Castingshow, die da auf dem Laufsteg. Denn dann, nur dann werde ich geliebt, hofiert, geachtet, wahrgenommen werden. Dann werde ich endlich glücklich und zufrieden sein.
Boah, Leute, das ist der geilste Werbegig überhaupt und macht ne Menge Menschen richtig reich. Dich nicht. Du zahlst. Mit deiner verlorenen Selbstachtung, mit deinem eingestampften Selbstwertgefühl, mit deiner Gesundheit, mit deinem eingefrorenen Lächeln, mit deiner Unabhängigkeit, mit deiner Zukunft... und natürlich mit ner Menge Geld.
Erinnert dich das an irgendwas? Sklaverei? Ne, so übertrieben ist es nicht. Eher so, als würdest du dem Sisyphos sagen: „Lass mich mal Mann, ich bekomm das schon hin und dann gehen wir nachher einen trinken.“ Völlig an den Vorgegebenheiten vorbei. Also hör jetzt endlich auf damit! Lass den Stein einfach liegen, dreh dich um und vergiss ihn. Ist nicht dein Ding. Alles nur ein Kunstprodukt, in Szene gesetzt auf Grundlage eines im Gehirn erzeugten idealen Schönheitsbildes. Hat nix, aber auch gar nix mit Realität zu tun: Stundenlange Maske, super Fotoequipment und absolut Hightech Bildbearbeitungsprogramme. Nicht mehr und nicht weniger. Die Endprodukte würdest ohne all das Drumherum nicht erkennen, auch wenn sie dir am Tisch gegenüber säßen. Lass es einfach sein, dich im Leben an deren hyperrealen Vorgaben zu orientieren.
Und zu all diesen Gewinnlern, Schönheitsschranzen, Dreamsellers, Puppenverkäufern, Raubrittern und Wundertütenherstellern sagst:
„Das ist mein Körper! Er gehört einzig und alleine mir. Allein das macht ihn schon schön und einzigartig. Die Verantwortung für ihn trage nur ich und die lasse ich mir auch nicht nehmen. Guten Tag, auf Wiedersehen! ... Ach, und Frau Klum, ihr Handtäschchen, da wir uns ja nicht noch mal treffen werden, nehmen Sie es doch bitte gleich mit! Dankeschön!“

(Anmerkung: Es geht dabei nicht um Menschen mit (psycho) somatisch bedingten Krankheitsbilder, sondern um Otto und Ottilie Durchschnittsnormalbürger)

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