„Sie sind ein Naivchen, Frau Müller.“
„Ja ich weiß. Das ist sehr freundlich, manche benutzen in
diesen Tage viel schärfer Worte um mich zu beschreiben.“
„Sie können die Welt und die Menschen auf ihr nicht
ändern.“
„Ja, das weiß ich schon seit mehr als vierzig Jahren. Also,
was soll es?“
„Warum lassen Sie es dann nicht einfach sein?“
„Weil es falsch wäre. Einfach falsch. Ich muss mir in die
Augen sehen können, darum geht es. Nur darum.“
„Was treibt Sie bloß so an und um?“
„Es ist diese eine Erfahrung: Da liegt ein Mensch
zerschlagen und ausgekotzt im tiefsten Dreck und streckt mir die Hand entgegen.
Und ich nehme sie. Seine Geschichte, seine Herkunft, sein Glauben, seine
Wahrheiten sind in diesem einzigen kleinen Moment völlig belanglos. Was zählt
ist nur, dass da ein Mensch liegt und eine, meine, Hand braucht.“
„Dieser Mensch wird Sie, wenn es ihm später besser geht,
vielleicht erschlagen oder tot treten, weil Sie für ihn der Feind sind.“
„Ja, das ist gut möglich. Das ändert aber nichts an der Wahrhaftigkeit
dieses einen Momentes. Dieser eine Augenblick macht uns über alle Grenzen und über
alles Geblubber hinweg zu dem, was wir eigentlich wirklich und ausschließlich sind:
Menschen. Alles andere ist nur aufgesetzt, ein Spiel um Macht und Gier und Dummzeugs.“
„Er wird Sie töten. Auf irgendeine Art und Weise wird er
Sie töten.“
„Ja, vielleicht.“
„Sie sind naiv, Frau Müller!“
„Ja. Aber ich werde in den Spiegeln schauen und mir zu
lächeln können.“
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