
28.5.15

„Viele Eltern
glauben, sie koennten ihre Kinder zu Verschwiegenheit, Takt, Ehrlichkeit und
Vertrauen erziehen, waehrend sie sich zanken, die Kinder anluegen, ihre Briefe
durchschnueffeln und ueber ihre innersten Angelegenheiten zu anderen reden.“ (Oswald
Bumke)
Kinder lernen fast ausschließlich durch Vorbild. So
einfach ist das mit der „Erziehung“. Erziehe dich selbst, jeden Tag aufs Neue,
dann klappt das auch mit den Kindern.
24.5.15
(Auszug)

Nach vielen, vielen Jahren erst bemerkte sie die
Untermieterin. Eine alte Bekannte war wohl nie bei ihr ausgezogen. Die Warterei
trinkt heut noch ab und an Käffchen mit ihr. Sie kommt immer zu früh. Und die
anderen zu spät. Sie wartet. Ob man sie vergessen hat? Ob sie es missverstanden
hat? Tauchend nach ihrer Schuld bleiben ihre Hände immer noch leer. Sie wartet.
Schmerzhaft. Sucht in sich nach ihrem erwachsenen Zorn. Manchmal plätschert er blinzelnd
nach oben. Verläuft sich aber in fröhliche Dankbarkeit, wenn das Warten ein
Ende hat.
(im Alter von 0 bis 7
Jahre, denn danach gab es die Schlägerin nicht mehr)
16.5.15
Lebenszeichen

Wie es mir nun geht? Kann ich nicht beschreiben. Ich drücke
weg und beame mich über Bücher lesen raus aus dem realen Geschehen. Manchmal
weine ich, ohne recht zu wissen, über was eigentlich gerade. Ayda und Peter
helfen mir in Alltagssachen, meine Nachbarin kommt regelmäßig zu Besuch. Aber,
irgendwie ist das alles in meiner Wahrnehmung wie in Watte gepackt. Ja, gute
Metapher: Ich fühle mich wie in einem Kokon, innen wie außen. Lebend, ja, aber
nicht lebendig. Widerlich.
14.5.15
VatertagsGedanken: Als ich so um die neunzehn war, änderte
sich die Volljährigkeit auf 18 Jahre und das Jugendamt teilte mir höchst unsensibel
beiläufig mit, dass mein Vater in der DDR lebe und seit meiner Geburt regelmäßig
Unterhalt ans Amt überwiesen habe. Von Seiten meiner Familie hatte ich bis dato
nur schwammige Auskünfte alá „Den gibt es nicht, und überhaupt, lass die
Fragerei.“ Der nicht vorhandene Vater war von klein auf für mich die
Projektionsfläche all meiner kindlich verquerten Sehnsüchte und sporadischen Errettungsphantasien
gewesen. Jetzt gab es ihn auf einmal wirklich. Als Reaktion auf diese neuen
Informationen habe ich meine Mutter und meinen Großvater erstmal schreiend rund
gemacht und bin nach Italien abgehauen. Von dort aus habe ich die aktuelle
Adresse meines Vaters herausgefunden und ihm geschrieben. Was ein Akt. Und bin
dann zu ihm gefahren. Viele Gespräche mit ihm, meinen Großeltern dort, seiner
Frau, meinen sechs Halbgeschwistern. Alles liebe, freundliche Menschen. Das
Angebot dort zu bleiben nach reiflicher Überlegung mit folgendem Resümee abgelehnt:
Zeugung alleine macht noch keinen Vater und Blutsbande keine Familie und
Tochtergefühle kamen bei mir nicht mehr auf.
Heute: Der nicht anwesende Vater war prägend, ob ich will
oder nicht. Kein anderer Mann im begleitenden Familienverbund und auch nicht
der Erzeuger konnten dieses schwarze Loch jemals füllen.
10.5.15
So ganz richtig kann ich mir, die ich Mitte der fünfziger
Jahre hier geboren wurde und aufgewachsen und alt geworden bin ohne jemals in
meiner Heimat von Krieg, Gewalt, Hunger und totaler Hoffnungslosigkeit bedroht
worden zu sein, gar nicht ein Szenario vorstellen, ich mein, so richtig
vorstellen, dass mich um des Überlebens willen dazu zwänge mich mit meinen
Kindern auf eine Reise zu begeben, deren Ausgang vielleicht auch der Tod sein
könnte. Welch unsäglicher Schrecken und Wahnsinn müsste um mich drum herum
herrschen, dass ich denken könnte, die klitzekleine Chance des Überlebens auf
der Flucht sei doch noch größer, als die Möglichkeit in meiner Heimat zu
überleben. Welch abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit müsste in mir toben. Allein
die Vorstellung macht mir ein innerliches Zittern. Und doch, ja, ich würde nach
jedem Strohhalm greifen. Für meine Kinder. Ja, das würde ich.
Man muss mutig sein, wenn man der/die sein will,
der/die man ist.
"Das ist eigentlich das Schrecklichste, was ich später
aus diesem Leben mitnehmen werde: Dass es dafür immer noch und schon wieder Mut!
braucht."
"Frau Müller, da Sie ja nicht vorhaben uns in den
nächsten Tagen zu verlassen, könnten Sie doch etwas hoffnungsvoller
klingen!"

„Aber, aber, Frau Müller, es gibt doch auch andere Strömungen
und viele, viele Menschen weltweit, die die Schubladereien hinter sich gelassen
haben!“
„Ja, die gibt es. Aber, sie wandern auf dünnem Eis und
sind bisher nicht in der Tiefe der Gesellschaften verwurzelt. Das sind so zarte
Pflänzchen. So zerbrechlich und fragil. Halten sie die kommenden Stürme von Gewalt
und giergeifernder Zerstörungswut denn stand?“
„Ach, das klingt mir viel zu negativ, Frau Müller.“
„Soll es aber eigentlich nicht. Nur realistischer als
noch vor Jahren. Und die Schlussfolgerung ist ja auch nicht aufzugeben, sondern
gemeinsam noch intensiver mit Herzblut zu düngen und zu gießen, auf dass aus
den kleinen Pflänzchen starke und wehrhafte Pflanzen werden.“

Und ich heute? Wenn ich
das Geblümel rundum sehe am heutigen Tag, dann denk ich an die Mütter mit ihren
Kindern, die wir elendig und schamlos im Mittelmeer verrecken lassen. Ne, tut
mir leid, in diesem Gedenktag verstecken sich mir zu viele widerliche Lügen.
Kann ich nix mit anfangen.
5.5.15
„Ich arbeite so viel, denn mein Kind soll es später mal
besser haben als ich es hatte!“
„Ja, das verstehe ich. Du arbeitest jetzt so viel und so
viele Stunden, damit es dem kleinen Kerl später Mal besser geht, als es dir als
kleines Kind erginge.“
„Ja, genau deshalb!“
„Erzähl mir von dem kleinen Kind, dem es damals so gar
nicht gut ging.“
„Wir waren sehr arm und hatten nur eine kleine Wohnung.
Mein Vater hat drüben in der Fabrik gearbeitet und meine Mutter ging putzen.
Sonst hätte es nicht gereicht. Ich war dann oft alleine zu Hause und wenn meine
Eltern da waren, dann waren sie meistens müde und erschöpft. Es gab auch oft
Streit. Ich habe mich dann ganz tief unterm Bett versteckt und leise geweint.
Es ging mir nicht gut“
„Es ging dem kleinen Kind nicht gut. Was denkst du denn,
was hätte es sich denn mehr als alles in der Welt gewünscht? Was hätte ihm denn geholfen glücklicher zu sein?“
„Ach, das ist ganz einfach: Mehr Zeit mit den Eltern. Mehr
zusammen spielen und lachen. Geschichten erzählen, mittags ab und an zusammen
essen, spazieren gehen. Einfach viel, viel mehr Zeit zusammen sein.“
„Ja, das verstehe ich. Und du arbeitest jetzt so viel und
so viele Stunden, damit es dem kleinen Kerl später Mal besser geht, als es dir
als kleines Kind erginge.“
2.5.15
„Mich dünkt der Traum eine Schutzwehr gegen die
Regelmäßigkeit und Gewöhnlichkeit des Lebens, eine freie Erholung der
gebundenen Phantasie wo sie … die beständige Ernsthaftigkeit des erwachsenen
Menschen durch ein fröhliches Kinderspiel unterbricht. Ohne die Träume würden
wir gewiß früher alt.“
(Novalis, 2. Mai 1772- 25. März 1801)
Jesses, wie habe ich als pubertierendes Mädchen gebadet in
seinen Texten und denen der anderen Romantiker. E.T.A. Hoffmann, Wilhelm Hauff,
Friedrich Rückert, John Keats, Poe, Byron, Walter Scott, Brentano, Uhland, Eichendorff,
und, und … die Liste ist ja ewig lang und überall liegen ihre Werke irgendwo in
mir rum und ab und an tauchen sie auf und beglücken mich noch immer. Ohne sie
hätte ich die Schönheiten der Klassik und der darauf folgenden literarischen Spielarten
gar nicht verstanden bzw. goutieren können. Ich finde es schade, dass all dies
nicht voller Begeisterung an die nachfolgenden Generationen weiter gegeben wird.
Ich hatte Glück mit meinen mich begleitenden Erwachsenen, sowohl privat als
auch im schulischen Bereich. Sie steckten mich an mit ihrer Freude und ihren Unvoreingenommenheiten.
Dafür bin ich dankbar. Sie machten mich reich über alles Materielle hinweg.
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