10.5.15

So ganz richtig kann ich mir, die ich Mitte der fünfziger Jahre hier geboren wurde und aufgewachsen und alt geworden bin ohne jemals in meiner Heimat von Krieg, Gewalt, Hunger und totaler Hoffnungslosigkeit bedroht worden zu sein, gar nicht ein Szenario vorstellen, ich mein, so richtig vorstellen, dass mich um des Überlebens willen dazu zwänge mich mit meinen Kindern auf eine Reise zu begeben, deren Ausgang vielleicht auch der Tod sein könnte. Welch unsäglicher Schrecken und Wahnsinn müsste um mich drum herum herrschen, dass ich denken könnte, die klitzekleine Chance des Überlebens auf der Flucht sei doch noch größer, als die Möglichkeit in meiner Heimat zu überleben. Welch abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit müsste in mir toben. Allein die Vorstellung macht mir ein innerliches Zittern. Und doch, ja, ich würde nach jedem Strohhalm greifen. Für meine Kinder. Ja, das würde ich.  

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