8.1.16

Da schreibt „Die Welt“ ganz locker „Jeder, der bisher für die Flüchtlinge eintrat, sieht durch die Übergriffe von Köln seinen guten Willen geschändet.“ Ich nenne so eine Überschrift schlichtweg Brandstiftung.

 Als ich fühle mich in meinem guten Willen und meiner Hilfsbereitschaft nicht "geschändet". Was für ein Begriff überhaupt *grummel … Wenn solche Vorfälle wie Silvester mich von meiner Menschlichkeit, meiner Hilfsbereitschaft, meinem Mitgefühl abbringen könnten, wenn sich mein Welt- und Menschenbild dadurch grundlegend verändern könnte, dann wäre ich schon seit Jahrzehnten ein wandelnder Eisblock bei all dem Unsäglichen was der Mensch dem Menschen so antut.

Auf der anderen Seite, weil mir ja immer Blauäugigkeit unterstellt wird: Ja, ich bemerke seit Jahren, dass die Aggressionen im öffentlichen Raum, besonders  wenn sich Gruppen zusammen finden (Nationalitäten sind mir da egal) , zunimmt. Und ich frage mich jedes Mal, wenn ich damit konfrontiert werde:

1. Warum explodiert das nicht mehr und heftiger, bei Zunahme von all dem Elend, der Ungerechtigkeit, der Diskriminierung, der gesamtgesellschaftlichen Kälte?
2. Wie gehe ich als einzelner Mensch konkret damit um, wenn ich aus einem kommunikationsfähigen Subjekt plötzlich zum Objekt von unreflektiertem Hass und von Gewalt werde?

Die Antwort auf die erste Frage lasse ich hier mal weg, denn dazu müsst man weit ausholen. Beantworten kann ich aber die zweite Frage: Ich wehre mich, ich schreie, tobe, hol mir Hilfe, schlag zurück, versuche zu überleben und wenn das gelingt mich an der Strafverfolgung im Rahmen des Gesetzes zu beteiligen. Auf der Metaebene bemühe ich mich standhaft darum nicht genauso ein unreflektiertes menschenverachtendes Arschloch zu werden wie die. Kein Spaziergang das Ganze.

„Mir persönlich machen nicht die vermeintlich kriminellen Flüchtlingshorden, sondern die immer stärker werdenden rechten Gruppierung wie PEGIDA; AfD und Co. Sorgen und daß statt diesen mit Aufklärung begegnet wird, werden sie noch hofiert. Es ist dieser Rechtsruck der bürgerlichen Mitte, die besorgniserregend ist.“

„Guck, man denkt sofort nur an "Flüchtlinge". Ich schrieb aber, sehr bewusst, dass ich seit Jahren die Erfahrung von steigender Gewalt und Aggression im Öffentlichen Raum mache und da gab es diese große Zuwanderung doch noch gar nicht. Ich rede von Gruppen, die sich zusammenfinden, nach der Feier, vor der Feier, oder einfach auf Plätzen und auf der Straße, in den U-Bahnen, in den Parks, meistens betrunken, (wie nennen die jungen Leute das? "Vorglühen“?) meistens junge Männer, aber manchmal auch junge Frauen und aus denen heraus plötzlich eine Gewalt springt, die dich einfach überrollt. Und ja, ein Teil dieser Leute finde ich jetzt auch in der rechten Szene wieder. Aber nicht nur.“

„Ein Faktor bei diesem Anstieg dürfte in der vermehrten Perspektivlosigkeit vieler liegen, der gesamten gesellschaftlichen Kälte, jeder soll sich optimieren, jeder steht in Konkurrenz zum anderen, um den Arbeitsplatz und so weiter.“

„Siehst du und genau dieser Diskurs wird zurzeit nicht mehr geführt, weil sich alles um die paar (ja, es ist eine Minderheit!) Deppen von Pegida, AfD, etc. dreht und dreht und dreht. Dabei wären das die nachhaltigeren und viel wichtigeren Diskussionen: Was passiert in unserem Land, wenn immer mehr Menschen in die Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit abgedrängt werden? Was macht das mit einer Demokratie? Und all das, was da an Analyse etc. dazu gehört, ist einfach weg vom Tisch jetzt.“

Ergänzung: Ursachen? Zusammenhänge? Besteht wenig Nachfrage zurzeit. Alles hetzt von Empörung zu Empörung. Die moderne Form der altbekannten "Brot und Spiele" Szenarien. Es ist so banal: Es ist so ausgesprochen entlastend, zumindest kurzfristig, in Empörung und Hass zu schwelgen. Das kleine, kaputte, weinende, sehnende Ich kann sich für Momente groß und stark fühlen.  Und die großen Ichs, die, die sich in ihrem pathologischen Narzissmus und ihrer Psychopathie behaglich eingerichtet haben, gehen mittlerweile weiter ihren dreckigen Geschäften nach.

Das hat mich schon immer traurig gemacht: Was für eine Energie da verschleudert wird in Selbstzerfleischung der eigentlichen Mitstreiter alleine durch die falsche Stoßrichtung. Boah, wenn die in die richtige Richtung laufen würde, für Menschlichkeit und Miteinander, dann würden die Soziopathen an der Macht aber dumm aus der Wäsche schauen. Und damit schließt sich der Kreis.

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