Mag ich nicht. Der Bundespräsident Gauck hat mich mit
seinem Satz "Wir haben gezeigt, was in uns steckt" in seiner Weihnachtsansprache mal wieder verärgert.
Wen er bloß mit dem „wir“ meint? Also, ich habe nicht gesehen, dass er mal
irgendwo aktiv zugepackt hätte. Weder an Stränden, noch an Bahnhöfen, noch in
Zeltlagern, noch auf den Strecken, noch an den Grenzübergangen sah ich einen
Herrn Gauck in Regen, Wind und Dreck seine vorgeblich menschenfreundlichen
Hände tatkräftig sich beschmutzen. Zugepackt haben da ganz andere. Es ärgert
mich, wenn sich da (wieder einmal) einer mit einem lockerflockig hingeschmetterten
„wir“ Lorbeerkränze um den Hals hängt, die da ganz bestimmt nicht hingehören. Bäh.
24.12.15
11.12.15
Wenn du mich mit Beleidigungen überschüttest, mich bestiehlst,
betrügst, mir mit Gewaltsprüchen kommst oder gar mir gegenüber gewalttätig
wirst, dann wehre ich mich und zeige dich an. Immer.
Deine Nationalität, deine Hautfarbe, dein Geschlecht,
dein Glauben, deine sexuellen Neigungen, deine politischen Haltungen, deine
Bildung, dein Einkommen, deine Herkunft, ob du deine Socken links oder rechts
gedreht in die Waschmaschine stopfst und ob du wunderschön singst im Badezimmer,
deine kaputte Kindheit und dein Seelenschmerz, all das und noch viel mehr
interessieren mich da einen Scheiß.
So einfach ist das.
10.12.15
„Sie hören doch als Therapeutin, zumal als
Sexualtherapeutin, bestimmt eine Menge sehr privater Dinge. Erzählen Sie uns
doch bitte heute einfach mal etwas sehr Intimes von sich, Frau Müller.“
„Ach? Das habe ich in meinen Büchern vor einigen Jahren
doch schon getan. Intimer geht ja wohl nun nicht. Das langt für die nächsten
drei Leben!“ *allerliebstlächelnd.
„Nun, vielleicht etwas Aktuelles?“
„Na gut. Am Ende des Duschvorganges haue ich immer schon den
Kaltwasserknopf übergangslos auf eiskalt. Früher habe ich das geräuschlos hingenommen.
Seit einiger Zeit kreische ich dabei wie ein pubertierendes Mädchen, wenn der Wolf so unvermutet aus dem
Gebüsch auf sie zuspringt. … Das ist wohl das Alter.“
„Ähm. Nun. Ja. Danke.“
9.12.15
Wie furchtbar muss es sein, wenn man trotzdem gehen muss
um sein (Über)Leben irgendwie zu retten. Eine ganze Weile dachte ich, es würde
helfen, wenn man doch die Gewissheit hätte, dass man seine Wurzeln in sich trage.
Ja, es hilft. Sicher. Aber es bleibt doch immer dieser Rest, dieser verflixte
kleine Rest, der sich sehnt, so sehr sehnt nach den altbekannten Düften, den vertrauten
Plätzen und Winkeln und dem Singsang der eigenen Sprache in beiläufigen
Plaudereien. Und auch wenn es all dies, durch die Zeit zerlegt, real so gar
nicht mehr wiederzufinden gäbe, so bliebe doch dieser leise Schmerz ein
lebenslanger Begleiter. Ja, ich kann das verstehen. Es macht mich traurig. Eine
Lösung fand ich bisher nicht.
8.12.15
Da es bei Tschador, Burka, etc. ja vor allem darum gehe
die Frauen vor dem unbändigen Trieb der Männer und deren bitte nicht
anzuregende Fantasie durch weibliche Reize und somit vor allem um den Schutz der
Frauen gehe, wäre es doch innerhalb dieser Logik viel logischer, anstatt die Frauen
zu verschleiern den Männern Keuschheitsgürtel und Fäustlinge anzuziehen, oder?
7.12.15
Lehrstück eben beim Einkaufen im Supermarkt, Kurzfassung:
Zwei Damen streiten sich:
Junge Dame: „Sie haben mich an der Kasse geschubst. Und
als ich sagte, Sie sollen aufhören, wollten Sie mich schlagen! Ich habe es
genau bemerkt!“
Ältere Dame: „Ich komme aus Afghanistan. Mein Mann hat gute
Arbeit. Meine Kinder, sie studieren. Ich gute Frau! Ich nicht schlagen!“
Junge Dame: „Was erzählen Sie mir da für einen Scheiß!
Das interessiert mich nicht! Was interessiert mich, was ihr Mann macht oder
ihre Kinder? Sie haben mich geschubst!“
Die ältere Dame versucht es nochmal und erzählt
aufgeregt, was genau ihr Mann arbeitet und was ihre Kinder studieren. Für die
junge Dame und die Zuschauer kommt sie damit jedoch einfach nicht auf den
eigentlichen Punkt. Und irgendwie wirkt sie dadurch schuldig. So als würde sie
drum herum reden und/oder ausweichen.
Das ist ein gutes Beispiel für misslungene
interkulturelle Kommunikation. In vielen Kulturen, und ich kenne es z.B. aus
dem Iran und aus Afghanistan, gehört es bei einem Streitgespräch, vor allem in
der Öffentlichkeit, zu einem unbedingten Muss und zum guten Ton, dass man zuerst
recht ausführlich erklärt, wer man ist, welchen gesellschaftlichen Status man
hat. Für die eigene Reputation einer Frau ist da die Stellung von Mann und
Kindern ein wichtiger, ja gar der wichtigste Baustein. Damit wird die eigene
Integrität und Glaubwürdigkeit nach außen festgestellt. Erst danach spricht man
über den eigentlichen Gegenstand des Streites.
Das hat mich oft zur Weißglut gebracht (der Vater meiner
Kinder brachte es fertig, als die GEZ vor der Tür stand, immer wieder das
Argument vorzubringen, dass sein Sohn Ringer in der Nationalmannschaft sei – die kamen nicht wirklich in ihrem Gespräch auf
einen grünen Zweig, weil beide sich missverstanden fühlten ;-) ). Aber, mal
abgesehen von den verquerten gesellschaftlichen Implikationen in Bezug auf die
Rolle der Frau, habe ich feststellen können, dass der Aggressionspegel
schlichtweg sinkt, wenn man sich erstmal über die Familien unterhält.
Ein gutes Beispiel auch dafür, dass in einer Einwanderungsgesellschaft
eben nicht nur die Zuwanderer, sondern auch die heimische Bevölkerung
Integrationskurse benötigt, am besten gemeinsame. Dann funktioniert es vielleicht
besser mit dem gegenseitigen Verständnis und der Kommunikation.
4.12.15
Am 04.12.1975 starb Hannah Arendt. Eine Große.
„Es war ja auch zu schrecklich, was beim Jerusalemer
Eichmann-Prozeß herauskam: Da stand keine kalt berechnende Bestie in
Menschengestalt im schußsicheren Glaskasten, sondern ein Hanswurst.“
Dieser Satz hat mich damals als junge Frau an der Uni sehr
erschüttert. Das Böse konnte, ja durfte nicht banal sein. Es musste groß, hässlich,
entmenschlicht sein. Die Täter abseits jedweder Menschlichkeit. Nur so erschien
mir das Unsägliche überhaupt ertragbar. Und dann kam dieses Weib und schleuderte
mich mitten hinein in ein Gedankengebäude, das in späteren Jahren in der Frage
gipfelte: Unter welchen Umständen könntest auch du zur Täterin werden? Nix war
mehr einfach, nix war mehr mit hier Gut, dort Böse. Leichten, eindimensionalen
Antworten war der Weg ein für alle Mal verbaut. Der Verstand kreischte und es
blieben ihm doch nur das Denken, Hinterfragen, Zerlegen und Durchkauen jedweder
noch so wohltuenden einfachen Kausalität. Ich habe sie gehasst für ihre Gedanken
und den unbequemen Rattenschwanz, den diese in mir ausgelöst hatten. Und ich
bin ihr dankbar.

3.12.15
In Syrien tummeln sich nun Assads Truppen, diverse syrische
Rebellen, der IS, die Russen, Amerikaner, die Türkei, die Kurden, Turkmenen,
der Irak, der Iran, Saudi Arabien, Schiiten und Sunniten, Franzosen, Briten …
hab ich wen/was vergessen? Bestimmt. Ach ja, die Deutschen wollen da jetzt auch
noch mitmischen. Für was? Für wen? Mit welchen Zielsetzungen? Blicken die da
überhaupt noch wer da mit wem und gegen wen und wofür? Manchmal denke ich, das ist
lediglich der abstruse Abenteuerspielplatz für WaffenHerstellerHändler und
ausgerastete Militärfreaks. So einfach ist es natürlich nicht, ich weiß. Aber egal,
würde ich da wohnen und mir gingen die nebulös verquasten Zielvorstellungen all
dieser Spielteilnehmer am Arsch vorbei, dann würde ich auch zusehen, dass ich
von da so schnell wie möglich weg käme.
26.11.15
„Frau Müller, Sie haben in den letzten Jahrzehnten immer
wieder mal geschrieben „Das Leben ist
schön!“. Würden Sie das heute, angesichts der aktuellen politischen Lage
weltweit und im eigenen Lande, immer
noch sagen?“
„Ja natürlich sage, denke und fühle ich das heute noch
genauso. Gerade heute. Ich habe nie behauptet, dass das Leben an sich in und
auf dieser Welt ein ausschließlich kuscheliges sei. Schmerz, Leid, Enttäuschungen,
Verluste, Unsägliches – jeder Mensch wird damit im Laufe seines Lebens in der
einen oder anderen Weise konfrontiert. Und lernt, so oder so, damit umzugehen. Das
Leben nicht zu feiern und wunderschön zu finden wäre Verrat an all den Menschen,
die sich trotz all dem Mist, der Not, dem Unrecht, dem Elend immer wieder
voller Hoffnung dagegen auflehnen, weiter machen, tanzen und singen und lieben,
die Tag für Tag aufs Neue um ihre eigene Menschlichkeit ringen, um dann wieder
und wieder dem Nächsten über alle Grenzen, allen Vorurteile, allem „Das macht
man nicht, das darf man doch nicht!“ hinweg einfach die Hand zu reichen. Und
diese Menschen gibt es ja. In jedem Land, an jedem Ort, zu jeder Zeit in dieser
bekloppten Welt gibt es sie. Und es sind nicht wenige. Ganz im Gegenteil.“
„Na ja, das klingt jetzt aber sehr optimistisch. Überall
lesen und hören wir von Mord und Todschlag, von Korruption, von Ausbeutung, von
Kriegen, von Umweltzerstörungen und vielem mehr. Sind Sie nicht ein wenig
blauäugig mit Ihrer Haltung, Frau Müller?“
„Klar, wir lesen darüber und hören davon. Jeden Tag. Die Meldungen
überschlagen sich. Eine reißerischer als die andere. Und ja, all das gibt es. Viel
zu viel davon und viele stecken mittendrin. Und? Dann geh ich raus und schau
mich um in der realen Welt. Und dann sehe ich, wenn ich es denn will, in all
dem Dreck immer und überall auch den einzelnen Menschen, der ohne groß
nachzudenken, einem anderen Menschen hilft, beisteht, begleitet für eine Weile.
Der teilt und abgibt ohne aufzurechnen. Der Zeit verbringt mit Tun und Machen,
ohne an den materiellen Lohn auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Der nicht
protzt damit und sich nicht dafür ins Rampenlicht drängelt. Der einfach nur
macht. Aus dem Bauch heraus. Einfach so. Weil es sich gut und richtig für ihn
anfühlt. Und ich sehe diesen Menschen und seine Herkunft, seine politische
Haltung, seine Religion sind mir in diesen Augenblicken sowas von völlig egal
und unwichtig. Es gab und gibt sie überall. Ich meine wirklich überall. Das hat
mich das Leben nämlich in den letzten Jahrzehnten gelernt. Und deshalb sage ich
auch in diesen Zeiten, trotz und gerade und erst recht: Das Leben ist schön.
Punkt.“
19.11.15
„Hat Frau Müller eine Idee, wie man die IS zu normalen
Menschen umfunktioniert?“
„Die kann man nicht umdrehen. Psychopathen kann man nicht
therapieren. Aber man kann sie kalt stellen. Wenn man denn wirklich will. Dreht
ihnen den Geldhahn ab, kauft nicht ihr Öl, liefert ihnen keine Waffen, keine
Nahrungsmittel, betreibt überhaupt keinen Handel mit ihnen. Ächtet sie überall
auf der Welt und durch alle Staaten. Und durch alle Religionsgemeinschaften.
Alle. Und nehmt die Mitglieder, die ihr kennt, und die jeweiligen
Staatsschützer kennen so viele von ihnen, und steckt sie ins Gefängnis. Und die
V-Leute gleich dazu. Oh, wieso kann man die festnehmen, die haben ja noch
keinen umgebracht? Ne, aber man kann sie festsetzen wegen Volksverhetzung,
Bildung einer terroristischen Vereinigung, wegen illegalen Waffenhandel/besitz
und meinetwegen auch wegen Steuervergehen oder sonst was. Wenn man wollte
könnte man sie zum Schutz und zum Selbstschutz festnehmen. Wenn man denn
wollte, könnte man dies alles schon seit langer Zeit tun.“
Oh, eine neue Headline: „Der oder jener Terrorist ist tot!“.
Hurra. Am besten noch mit Bilder von der Leiche. Oder gar mit Selfies von
denjenigen, die ihn getötet haben. Hurra! Hurra! Ganz bekannt. Ganz widerlich. Egal
von welcher Seite und für welche der gerade angesagten Wahrheiten von irgendwem
auf der Welt. Mir wird schlecht. Genauso schlecht wird mir, wenn ich
Kriegsdokumentationen anschaue. Ich bin dann gar nicht in der Lage, die
Verstümmelten, die Toten, die Verletzten, die Traumatisieren, die an den Waffen,
den Maschinen, denn Drohnen-Bildschirmen irgendeiner richtigen oder falschen,
einer guten oder bösen Seite zuzuordnen. Mir ist nur schlecht. Und ich weine um
sie alle. Und in meinem Kopf krabbeln kleine, lachende Kinder herum. Kinder, die freundlich
sind, offen, neugierig, so voller Vertrauen. Was muss man ihnen angetan haben
und was tut man ihnen noch an, so dass nun aus ihnen Schlächter und Geschlachtete
wurden. Es ist so unsäglich unfassbar. Und ich sehe da kein auch nur irgendwie
sich selbst rechtfertigendes Recht oder Unrecht. Ich sehe nur Ströme von Blut
und Leid und Elend. Ich will das nicht. Ich will das einfach nicht. Weder aus
diesem, noch aus jenem Grunde, weder in meinem Namen, noch im Namen irgendeines
Guten Zieles, noch im Namen irgendeines imaginären Menschengottes. Ich will es nicht.
18.11.15
Ja, wir sind sehr gerne gute Menschen und wenn es uns mal
nicht ganz gelingen sollte, weil das Leben uns ermüdet oder der Irrsinn der
Welt uns beutelt, dann halten wir inne, holen tief Luft und unterstützen uns
gegenseitig. Dann machen wir uns wieder auf den Weg. Ein guter Mensch zu sein -
das ist der einzige Sinn des Lebens. Denn es bedeutet glücklich zu sein trotz
all dem Elend und dem Dreck. Und das lehren wir unsere Kinder. Und ja, das
macht manchen Menschen eine unsägliche Angst. So viel Angst, dass sie um sich
beißen müssen und ihre eigene Menschlichkeit schreddern. Das tut mir leid. Doch
damit hat es sich. Kein Fußbreit für Rassisten, Kriegstreiber und
Menschenverachter. Punkt
8.11.15
Mein verstorbener Großvater hätte heute Geburtstag. Er
fehlt mir immer noch. Ich habe so viel gelernt durch ihn. Er hat mich ermutigt,
meine Träume umzusetzen und niemals ein „das-kann-ich-nicht“ oder ein „das-darf-man-doch-nicht“
akzeptiert. Trotzdem war er kein „perfekter“ Mensch. Er hat mich auch verletzt und
mich als Kind immer mal wieder im Stich gelassen. Manches kann ich bis heute
nicht verstehen, manches hat sich mir im Laufe meines Lebens verständnisvoll
erschlossen. Unterm Strich bleibt: Er hat sein Bestes gegeben, auch in
beschissenen Zeiten. Dafür bin ich ihm dankbar, unendlich dankbar.
1.11.15
30.10.15
„Frau Müller, Sie appellieren wirklich an die Menschlichkeit
der Menschen, die durch ihre Habsucht und Gier doch die Fluchtursachen erst
geschaffen haben? Sie sind schon ein wenig naiv, oder?“
„Na ja, aber, es könnte doch sein, dass …“

„Nein, Frau Müller, da war nichts sein, da ist nichts, und da
wird auch niemals etwas sein können. Denen, die an Krieg und Ausbeutung
verdienen, gut verdienen, denen gehen diese Menschenleben schlichtweg am Arsch
vorbei. Meinen Sie, das macht für einen von denen einen Unterschied, ob der Mann,
die Frau, das Kind elendig ertrinkt, oder von einem Maschinengewehr geschreddert
oder von einer Bombe zerrissen wird oder sich unter abscheulichen Bedingungen
zu Tode schuftet? Das ist denen egal. Das sind Kollateralschäden, Abfälle,
Späne, Restmüll. Sie verstehen nicht, dass die Gewinnler und Abkassierer und
ihre Handlanger da gar keine menschlichen Subjekte wahrnehmen, nie wahrgenommen
haben. Das sind, wenn überhaupt nur ein Gedanke dran verschwendet wird, maximal
Arbeitskräfte, Konsumenten, Wähler, Kanonenfutter, Zahlen auf den Papieren, frei
verfügbare Objekte fürs eigene Geschäft und den eigenen Machterhalt. Mehr
nicht. Das ist das, was Sie und viele andere mit einem gänzlich anderen
Menschen- und Weltbild einfach nicht verstehen wollen. Sie bewegen sich in zwei
völlig unterschiedlichen Universen. Da gibt es keine Schnittstellen. Gar keine.
„Ich weigere mich, ich weigere mich schlichtweg, das so zu
sehen. Ich weigere mich!“
„Das können Sie gerne tun. Es ändert jedoch nichts.“
„Sie sind ein Arsch. Sie sind so ein verdammter Arsch!“
26.10.15
16.10.15
So, erste Woche fast rum an der Uni. Manche (Wunsch)Vorstellungen
erwiesen sich als zu sehr geprägt von Erinnerungen, andere und neue Eindrücke
waren bereichernd. Erste, sehr persönliche Erkenntnisse: 1. Sich in einem
vollgestopften, kleinen Hörsaal ohne Fenster, aber mit gleicher, für sehr
untergewichtige Personen konzipierter Bestuhlung, wie zu meiner Zeit
(vielleicht klebt mein Kaugummi noch unterm Tisch?) althergebrachte
Erkenntnisse über das vorgeblich neue Konzept der Einheit von Körper, Geist und
Seele, jetzt mit einem englischen Begriff „Embodiment“ versehen, anzutun, ist
nicht mein Ding. 2. Die Begeisterung, das ErfahrungsWissen und der Elan älterer
Menschen in anderen Seminaren sind erquickend für meine Seele. 3. Das Essen in
den Mensen ist vielfältiger geworden. 4. Das Bologna Konzept für die Unis ist wirklich
so dämlich wie vermutet. 5. Die Fahrerei von Neuberg nach Frankfurt mit den Öffentlichen
ist sehr anstrengend und muss deshalb eingeschränkter laufen. Der Geist ist
willig, der Körper winkt schwächelnd ab. 6. Trotz aller vorläufiger Kritik
meinerseits und dem sanften Zurechtrücken illusionistischer Vorstellungen
bleibt nach dieser Woche das Gefühl, an diesem Ort sei doch noch ne Menge an
neuen und bereichernden Erfahrungen für mich möglich. Netzwerken ist nun angesagt.
Ach ja, ich steige von Handtasche doch wieder auf Rucksack
um *blinzel
7.10.15
„Dann siehst du Menschen, mit denen du noch vor ein paar
Minuten gesprochen hattest, durch die Luft fliegen. Nichtidentifizierbare Körperteile
landen vor deinen Füßen, auf deinen Schultern, auf deinem Kopf. Alles geht so
schnell. Da ist ein Schreien, Wimmern, Dröhnen. Die Luft stinkt nach Blut und
Tod. Das ist so ein ganz bestimmter Geruch. Er setzt dich in deiner Nase fest.
Noch Monate später riechst du ihn. Darauf konnten dich nichts und niemand
vorbereiten. Die Bilder, die Geräusche, die Gerüche bekommst du einfach nicht
mehr aus deinem Kopf. Da ist so ein inneres Zittern in dir. Immer. Ab diesem
Moment.“
„Ja, ich verstehe. Ein wenig. Vielleicht. Darum bist du
geflohen.“
„Ähm, nein. Ich bin Bundeswehrsoldat. Afghanistan. Ich
kann nicht fliehen. Auch nicht vor diesen Bildern in mir.“
16.9.15
„Ich finde es total prima, wie du dich in die neue Willkommenskultur
einbringst! So mit Plakate malen und Händeschütteln und lachenden Selfies vor
dem vollgepackten Auto mit Spenden. Echt Klasse!“
„Frau Müller, so ganz überzeugt freudig begeistert gelöst
klingt das irgendwie nicht. Höre ich da im Hintergrund ein zweifelnd misstrauisch
leises Grummeln?“
„Das ist nicht leise, das plätschert schon. Bis jetzt ist
die Komfortzone des deutschen Bürgers doch noch nicht mal an leicht angestochen
worden. Warten wir ab, bis Solidarität wirklich gefordert ist. Wenn es wirklich
ums Teilen geht. Wenn es darum geht aus Mitmenschlichkeit, Solidarität und Veränderungswillen
das eigene System von Macht und Gier und Bequemlichkeit in Frage zu stellen. Tut
mir leid, meine Euphorie hält sich bis jetzt in Grenzen. Es wäre schön, wenn
ich mich irren würde.“
14.9.15
„Fünfunddreißig Jahre in der gleichen Firma geschuftet,
nebenbei drei Kinder groß gezogen, die Mutter gepflegt bis zum Tod. Der Mann
hat sich vor Jahren zwecks Selbstverwirklichung verabschiedet. Die Kinder sind
schon lange erwachsen, führen ihr eigenes Leben in anderen Städten und die
Firma zieht um in ein Billiglohnland. Perspektiven? Schwierig. Der Körper
streikt, die Seele fährt Stillstand. Jetzt sitzt sie schon seit sechs Wochen in
der REHA Klinik und weiß nicht aus noch ein. So richtig zugehört hat ihr bis
jetzt noch keiner hier. Wenn sie weint, so aus heiterem Himmel heraus, dann
bietet man ihr Tabletten an, die sie nicht will, weil die, so sagt sie, ihren
Kopf danach zum Dröhnen brächten und ihr die Hände einschliefen.“ …
Nur eine unter den vielen Geschichten, die ich mir an
diesem total verregneten Wochenende hier in den stillen Ecken der Klinik
angehört habe. Ich kann gar nicht so viel umarmen und festhalten, wie ich
eigentlich müsste. Es macht mich traurig. ... ... ... Die Lebensgeschichten der
Menschen hier erinnern mich an die Geschichten der Arbeiterliteratur aus den
frühen zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. So grundlegend verändert hat
sich da irgendwie nichts...
11.9.15
22.8.15
Meine Texte dazu und viele Links zu Hintergrundinformationen findet Ihr seit August 2015 auf meinem Blog:
http://menschenfreundlich.blogspot.de/
http://menschenfreundlich.blogspot.de/
„Es gibt nur einen Grund etwas zu verändern: Du hältst es
einfach nicht mehr aus.“ Aber ach, manche haben es sich so bequem im eigenen Leiden
eingerichtet. Es riecht und schmeckt so heimelig heimisch dort. Dann kann man
die Hand, die einem gereicht wird, gar nicht mehr wahrnehmen, denn sie versinkt
in den schwammigen Mauern rund um die eigen vermeintliche Komfortzone. Es macht
mich für einen Moment traurig, doch Energie, die Mauern aktiv einzureißen,
verschwende ich nicht mehr. Ich sende, vielleicht, ab und an Rauchzeichen mit
dem Tenor: Ich bin da, wenn du es willst. Mehr nicht.
15.8.15
Es ist einfach nur geil Oma zu sein. KleinMadame kommt
etwas früh, aber ihrer individuellen Entwicklung gut angepasst, in die erste
Autonomiephase. Ein "Nein" kickt die linke Gehinhälfte von jetzt auf
gleich in den Sparmodus und Empörung breitet sich wie eine Flut aus. Drama hoch
zehn. Zum Beispiel beim Einkaufen. Kreischen in höchsten Tönen, Tränen und dann
die bösen Blicke von Miteinkäuferinnen. Mutter kommt langsam in Hektik. Oh, ich
erinnere mich. Ich kenne das. Aber Oma, die Oma kann ganz in ihre Ruhe gehen
und mit Gelassenheit der KleinMadame verrückte Dinge zuflüstern: "Oh ja,
ich kenne das, wenn auf einmal dieses blöde "Nein" auftaucht und sich
dir in den Weg stellt. Diese doofe Welt hat bisher doch immer gemacht, was du
wolltest und jetzt auf einmal gibt es da und da und dort das "Nein".
Da kann man richtig wütend werden. Und dann muss man schreien, damit die Wut
kleiner wird. Und du schreist so schön. Hör mal, die Oma kann überhaupt nicht
so toll schreien wie du..." Kicksender Schreiversuch meinerseits. Jetzt
gucken mich die Leute an, als sei ich deppert. Aber, ich bin alt, ich darf das.
Und Kind ist total erstaunt und Schwupps haben wir ein neues Thema: Wer schreit
schöner... laut ... lauter ... leiser ... noch viel leiser. ... Alles wieder
gut dann.
10.8.15
Mir bekannte Blogger hören auf gegen Fremdenhass und
Rassismus zu bloggen, weil sie und ihre Familien ganz konkret und real von
rechten Arschlöchern bedroht werden. Und die Masse schweigt. Die Politiker
verpissen sich oder instrumentalisieren die „besorgten BürgerInnen“ zur Erhaltung ihrer eigenen kleinen Pöstchen und
Pfründe. Das treibt mich um. Dieses Kapitulieren. Auf der einen Seite kann ich
es nachvollziehen, auf der anderen Seite schießen mir tausend Bilder durch den
Kopf: Freunde, die im Iran starben; die Kämpfer aus Griechenland; das
schweigende Zusehen beim Abschlachten in Ruanda oder in Sarajewo; die Toten in
Palästina; damals die Menschen in Chile, heute in Syrien… und, und, und … so
viele unterschiedliche Bilder … eine Flut von Menschen, die ich oft persönlich
kannte, rast durch meinen Kopf … Menschen, die nicht aufgegeben hatten für ihre
Überzeugungen laut und deutlich die Stimme zu erheben … wieder und immer wieder
… und die mit ihrem Tod dafür bezahlten. Oh, es ist anmaßend, ich weiß. Ich
gehöre zu der Generation, die eigentlich im eigenen Land bei freien
Meinungsäußerungen nie mit ihrem Tod, meistens nicht mal mit körperlichen
Verletzungen bedroht war. Ja, ich verstehe diese Angst und diesen Rückzug, wenn
es um Familie und das eigene Leben geht. Das Leben. Aber, das Leben ist nicht
so. Nicht für die Mehrheit der Menschen
auf er Welt. Da gehören Gewalt und Todesängste zum täglichen Brot. Ja, es macht
Angst, wenn da so ein durchtrainierter Idiot sich vor einem aufplustert und du
siehst in seinen Augen, dass er bereit ist dich zusammen zu schlagen und ihm
dein Leben nicht einen Pfifferling wert ist. Ja, das macht Angst. … Aber, das
Schweigen, dieses Schweigen aus Angst, das macht mir noch viel mehr Angst. So
viel mehr.
Es ist nicht rund in mir. Noch nicht. Aber mein Bauch
sagt mir, wider alle Vernunft, aufhören ist falsch. Ganz und gar falsch.
9.8.15
Meine Unwörter des Tages: „sonst“ und „dann“. Sehr
beliebt im Umgang mit Kindern: „Wenn du nicht sofort dies oder das, dann
passiert dies oder jenes!“ oder „Du machst jetzt dies oder das, sonst passiert
dies oder jenes!“ Aus pädagogischer
Sicht die absolute Einbahnstraße, weil keine Einsicht ins verlangte Tun
gefördert wird, sondern Angst vor Strafe die Motivation des Tuns sein wird. Aus
psychologischer Sicht der Dünger für den pathologischen Gehorsam, die Wurzeln
des Autoritären Charakters mit dem ganzen Rattenschwanz dran. Aus
physikalischer Sicht unproduktiv, denn Druck erzeugt immer Gegendruck. Aus ganz
individueller Sicht eine totale Überforderung mir merken zu müssen, was alles
hinter dem „dann“ und „sonst“ folgte und für dessen direkte und konsequente Umsetzung
zu sorgen.
Mir spontan einfallende Alternativen: Wenige!, immer
wieder (selbst)kritisch überprüfte Regeln, über die, entsprechend dem
Entwicklungsstand des Kindes, nicht diskutiert wird, da es zu einer rationalen
Einsicht/Umsetzung gar nicht in der Lage wäre. Beispiel: "Die Straße
überqueren wir Hand in Hand."
Durch Vorbild und Erzählungen/Geschichten erwünschte
Verhaltensweisen interessant machen. Entsprechendes Verhalten, auch die
kleinsten Schritte in diese Richtung, toll, klasse, wunderbar finden und das
auch kommunizieren.
Sich überlegen, wie
durch eine mitwachsende Anpassung des gemeinsamen Lebensraums auf das
kindliche Vermögen und seine Fähigkeiten eine Menge WennDannSonst einfach gar
nicht auftreten können.
Sich immer wieder
die Fragen stellen: "Was (und vor allem warum) soll das Kind gerade
lernen? Was lernt es jetzt wirklich?" Lernt es gerade eine neue
Fähigkeit/wird im Gebrauch einer solchen ermutigt oder lernt es Gehorsam,
Unterwerfung, Schuld?
Offen und kreativ die WennDannSonst Sätze einfach aus
dem eigenen Sprachgebrauch streichen. Das macht richtig Spaß.
7.8.15
Heute Morgen im Freibad ist mir mal wieder aufgefallen,
dass manche Erwachsenen einen Ton und eine Ausdrucksweise ihren Kindern
gegenüber drauf haben, die ich mir von niemandem gefallen lassen würde. Schon
gar nicht in der Öffentlichkeit. Das ist so verletzend. Und ich stelle mir vor,
wenn dies schon der normale Umgangston in einer doch recht entspannten
freizeitvergnüglichen Situation ist, wie gehen die dann ab, wenn sie sich
richtig ärgern. Das ist gruselig.
6.8.15
Ich liebe Keller. Ich war quasi von Geburt an ein
Kellerkind. Im Keller hatte Opa seine Werkstatt und seine Rückzugsbasis. Im
Keller wurde die Wäsche von den Frauen gewaschen. Im Keller lagerten die
Vorräte für den Winter. Dort stand das Sauerkrautfass und der Apfelwein in der
riesigen Korbflasche. Durchgangsstation zum Hinterhof mit Wiese, wo die Laken
gebleicht und die Gänseblümchenkränze geflochten wurden. Spielplatz der Kinder
im Winter, weil die Wohnungen für die Menge der Familienmitglieder viel zu klein
waren... So viele Geschichten habe ich dort unten erzählt bekommen und so viele
Abenteuer erlebt. Mein Ort der warmen und wohligen Erinnerungen.
5.8.15
Einige Erfahrungen aus meiner Praxis: Narzissmus hat kein
bevorzugtes Geschlecht. Pathologische Narzissten sind Therapie resistent, da
sie keinen Leidensdruck in Bezug auf ihr SoSein empfinden. Es geht in
Beziehungen mit Narzissten nicht um „Schuld“, obwohl die einseitige
Schuldverteilung durch Narzissten zu deren Grundhandwerkszeug gehört. Aus einer
Beziehung mit einem Narzissten/einer Narzisstin kommt man nicht ohne
Beschädigungen heraus. Labile Persönlichkeiten locken Narzissten an wie das
Licht die Motten. Stabile und starke Persönlichkeiten erhöhen jedoch den Jagd-
und Einverleibungstrieb des Narzissten. Narzisstische Elternteile untergraben
jede Form des Selbstbewusstseins und der Autonomie eines Kindes. Narzissten
leiden, aber nicht an sich, sondern an den ihnen angeblich unverschämt
zugemuteten Ungerechtigkeiten der Welt, der Gesellschaft, des Partners, der
Nachbarn, des Wetters, der Natur und überhaupt. Narzissten sind eben nicht
„selbstverliebt“, denn die Liebe zu sich selbst ist ihnen schon ganz früh in
ihrem Leben abhandengekommen bzw. haben sie sie nie kennen gelernt. Narzissten
sind arme Hascherls, die ganz tief in sich drinnen vor Selbstmitleid,
Gefühlsleere, undefinierter Sehnsucht und einem Hunger nach bedingungsloser Liebe aufgefressen werden.
Sie sind sich dessen absolut nicht bewusst und verweigern jedwede
Bewusstwerdung. Lieber beißen sie tollwütig um sich. Das macht sie gefährlich
und in manchen Fällen tödlich.
4.8.15
Dein größter Irrtum: Der gesunde Menschenverstand sagt
dir, dass du keine Angst vor Überwachung haben musst, denn du tust ja nichts
Ungesetzliches. Darum ging und geht es jedoch nie. Es ist nämlich völlig egal,
ob das, was du sagst und tust völlig harmlos ist. Denn in dem einen
wesentlichen Augenblick liegt die Deutungsgewalt über gut/schlecht,
legal/illegal, etc.., nicht in deiner Macht, auch nicht in einer einvernehmlich
gemeinschaftlichen Macht, sondern einzig und alleine bei deinem Gegenüber. Da
kann das dämlichste Hundebildchen zu einem Fail werden, der dich deine
Integrität und Unverletzlichkeit kosten kann. So einfach ist das.
3.8.15
„Das ist eine Mikrowelle. Eine Mikrowelle ist kein Föhn!
Bitte keine Katze zum Trocknen hinein setzen! Oder: Das ist ein Gartenschlauch.
Drehen Sie den Wasserhahn auf. Schauen Sie jetzt nicht in die Öffnung des
Schlauchs.“
„Wie kommen Sie denn jetzt auf so was, Frau Müller?“
„Ach, ich pass mich versuchsweise dem Niveau der braunen
Deutschtümler an. Wer meint, dass Familienväter und junge Männer aus Jux und
Tollerei ihre Heimat und ihre Familien verlassen, nur weil bei uns die Luft so gut und es ein paar Euro
Taschengeld gibt, der oder diejenige braucht doch artgerechte Hilfe bei allen
Fragen des alltäglichen Überlebens.“
„Das ist aber lieb von Ihnen.“
„Ja, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Kurze Sätze, klare
Anweisungen. Vielleicht wird das dann noch was.“
29.7.15

Dafür bin ich dankbar.
Es ist der Zufall meines Geburtsortes, der mir all dies
ermöglicht. Doch nicht nur das. Den Preis für all diese Selbstverständlichkeiten
zahlen in einer globalisierten Welt tausend und abertausende Menschen, denen es
dreckig geht, damit es mir so gut gehen kann. Und weil dies so ist, bin ich froh,
wenn ich von meinem Glück etwas abgeben und teilen kann und es dadurch noch
vermehren darf. Ich kann diese Welt nicht alleine ändern, aber ich kann sie
ganz konkret in meinem persönlichen Umfeld gemeinsam mit anderen Menschen
freundlicher und liebevoller gestalten für all diejenigen, die das Glück meiner
zufälligen Geburt nicht hatten, und die nun mit all ihren Träumen, Sehnsüchten
und Hoffnungen bei uns angekommen sind.
Das kannst du auch.
Es ist ganz einfach.
27.7.15
„Sie sind ein Naivchen, Frau Müller.“
„Ja ich weiß. Das ist sehr freundlich, manche benutzen in
diesen Tage viel schärfer Worte um mich zu beschreiben.“
„Sie können die Welt und die Menschen auf ihr nicht
ändern.“
„Ja, das weiß ich schon seit mehr als vierzig Jahren. Also,
was soll es?“
„Warum lassen Sie es dann nicht einfach sein?“
„Weil es falsch wäre. Einfach falsch. Ich muss mir in die
Augen sehen können, darum geht es. Nur darum.“
„Was treibt Sie bloß so an und um?“
„Es ist diese eine Erfahrung: Da liegt ein Mensch
zerschlagen und ausgekotzt im tiefsten Dreck und streckt mir die Hand entgegen.
Und ich nehme sie. Seine Geschichte, seine Herkunft, sein Glauben, seine
Wahrheiten sind in diesem einzigen kleinen Moment völlig belanglos. Was zählt
ist nur, dass da ein Mensch liegt und eine, meine, Hand braucht.“
„Dieser Mensch wird Sie, wenn es ihm später besser geht,
vielleicht erschlagen oder tot treten, weil Sie für ihn der Feind sind.“
„Ja, das ist gut möglich. Das ändert aber nichts an der Wahrhaftigkeit
dieses einen Momentes. Dieser eine Augenblick macht uns über alle Grenzen und über
alles Geblubber hinweg zu dem, was wir eigentlich wirklich und ausschließlich sind:
Menschen. Alles andere ist nur aufgesetzt, ein Spiel um Macht und Gier und Dummzeugs.“
„Er wird Sie töten. Auf irgendeine Art und Weise wird er
Sie töten.“
„Ja, vielleicht.“
„Sie sind naiv, Frau Müller!“
„Ja. Aber ich werde in den Spiegeln schauen und mir zu
lächeln können.“
25.7.15
„Lebe nach deinen eigenen Regeln!“
Immer wieder finde ich diesen plüschigen Rat in allen
möglichen und unmöglichen Zusammenhängen. Ich halte ihn für zu kurz gedacht,
denn du lebst nicht alleine auf einer Insel, sondern in einer Gemeinschaft mit
anderen Menschen. Schau dir genau an, welche Regeln es für das Zusammenleben in
dieser Gemeinschaft gibt. Versuche ihren Sinn oder Unsinn in Bezug auf eine friedliche
und rücksichtsvoll achtsame Gesellschaft zu reflektieren und entscheide dich dann,
welche davon du auch zu deinen Regeln machen willst, und welche nicht. Für die jeweiligen
Konsequenzen solltest du Verantwortung übernehmen können. Darüber hinaus gibt
es ganz individuelle Regeln, die du dir noch selbst für dein Leben setzen
kannst. Darin bist du ganz frei, jedoch nicht nur dir selbst gegenüber
verantwortlich (weil du halt nicht auf einer Insel lebst). Überprüfe inwieweit
diese, deine ganz eigenen Regeln, mit den Regeln der Gemeinschaft kollidieren
oder zusammen passen. Sie passen nicht zusammen, wären aber für die
Gemeinschaft vielleicht auch sinnvoll und schädigen niemanden? Dann versuche zu
überzeugen, indem du sie vorlebst. Sie passen nicht, denn sie würden dem
gemeinsamen Zusammenleben wesentlich schaden? Dann überprüfe/ändere sie, deine
Regeln. Alles andere erscheint mir unreflektierter Quatsch, der sich jedoch als
Spruch auf dem Sofakissen recht gut und wohlig Gefühle macht.
18.7.15
Da bringt einer Menschen um. Kommt dafür ins Gefängnis
und macht dort irgendeine Ausbildung. Dann geht das Geschrei los: „Wieso darf
er das? Er hat kein Recht dazu. Er ist ein Mörder. Köpft ihn oder verweigert
ihm zumindest jeden Komfort und jedes Privileg.“ Könnt ihr mal alle Luft holen
und kurz ein kleines bisschen nachdenken. Versuchen zumindest? Menschenrechte
und Menschenwürde werden einem nicht aberkannt nur weil man im Gefängnis (egal
aus welchem Grunde) sitzt. Und das ist gut so. Das eine ist deine moralische Empörung,
die darfst du haben und in allen tödlichen Phantasien schwelgen bis zum
Abwinken. Das andere sind Rechte, die allgemein gültig und verbindlich sein
müssen. Auch zu deinem Schutz! Da darf keine moralische Empörung mitmischen, denn
diese ist von so vielen subjektiven Faktoren abhängig, dass es keine
Möglichkeit gäbe, diese alle verbindlich unter einen Hut zu bringen. Das macht
die Rechtsprechung manchmal sehr ungerecht im subjektiven Empfinden, und die Empörung
darüber ist oft auch gut, denn dadurch wird aus einer starren Rechtsprechung
ein sich im Laufe der Geschichte entfaltender Prozess, der sich immer wieder
selbst überprüft und um Allgemeingültigkeit ringt. Das finde ich gut, auch wenn
ich manchmal kotzen könnte über all die Abzweigungen und Verstolperungen. Aber
ich bleibe dabei: Menschenrechte und Menschenwürde sind unveräußerlich. Punkt.
14.7.15
"Ich werde in den kommenden Tagen nichts mehr zu
Griechenland schreiben."
"Warum denn das, Frau Müller?"
"Weil ich mich seit Wochen und Wochen durch so viele
Informationen dazu durchquäle um dann unterm Strich doch nur feststellen zu
können: Entweder mir werden Zwischen- und Teilinformationen vorenthalten oder
ich bin zu deppert um den Gesamtüberblick über Zusammenhänge dritter, vierter,
fünfter... xy Ebene herzustellen. Die widersprechen sich doch in der
Berichterstattung und in den Kommentaren dazu manchmal drei Mal in einem
Satz."
"Na na, so schwierig ist das doch alles nicht, Frau
Müller."
"Allereigentlich nicht, wenn ich es mir mit meiner
Hausfrauenseele anschaue:
1. Du gibst Geld aus, dass du eigentlich nicht hast
und auch in nächster Zukunft nicht haben wirst - dann biste irgendwann pleite.
2. Du leihst dir Geld, weil du keines hast, obwohl jeder,
auch der Geldgeber, weiß, dass du das nie aus eigener Kraft zurückzahlen
kannst.
3. Du leihst dir wieder Geld, um Zinsen und Raten für das
geliehene Geld zahlen zu können. Am besten noch vom gleichen Geldgeber, obwohl
jeder, auch du, weiß, dass du dann niemals wieder die Chance hast, aus diesem
Kreislauf heraus zu kommen.
Im jeden kleinen Privathaushalt würde man, schon vor der
nächsten Kreditvergabe, in die Privatinsolvenz gehen und während der
Wohlverhaltensphase mal eine paar Kurse über solide Haushaltsführung belegen
müssen."
"Nun, bei Staaten und zwischen Staaten ist das
anders und viiiiiiieeeellll komplizierter, Frau Müller!"
"Eben, sag ich doch. Meinem einfachen Horizont
erschließt sich die innere Logik der Abläufe und die geistige Gesundheit aller
Beteiligten nicht. Also lass ich es einfach."
8.7.15

4.7.15
1.7.15
Bei der Arbeit mit dem "Inneren Kind" liegt der
Fokus oft auf dem verletzten (in welcher Form auch immer) Kind. Meine Erfahrung
lehrt mich aber, dass sich da in der Regel noch ein Zwilling versteckt: Das
fantasievolle, abenteuerlustige, spielfreudige, auf sich und die Welt
vertrauende Kind, das seine Umgebung, wenn es denn darf, noch mit einem
"magischen" Blick anschaut und
erobert. Wir locken es nicht raus aus seinem Versteck, wir geben ihm keinen
Raum zur Entfaltung, wenn wir uns zu sehr oder gar ausschließlich auf das
andere Kind konzentrieren. Beide müssen atmen können, beide brauchen unsere
Aufmerksamkeiten. Da ist einfach noch mehr drin, liebe Kolleginnen und Kollegen.
30.6.15
Immer mal wieder in Gesprächen. Es wiederholt sich
anscheinend gerne:
„Frau Müller, glauben Sie nicht, es sei Ihrer professionellen
Reputation sehr abträglich, dass Sie selbst immer mal wieder über Ihre eigenen
Widersprüche, Zweifel oder Schattenseiten erzählen?“

„Nun, vielleicht mit anderen Worten umschrieben, aber vom
Inhalt her meine ich das, ja.“
„Wissen Sie, ich bin keine Maschine und ich bin kein Roboter.
Ich bin sehr lebendig menschlich und dies beinhaltet auch, dass ich
Widersprüche, Unaufgelöstes und seltsam Verquertes in mir trage, ab und zu
umschichte oder abbaue und auch weiter ansammeln werde. Dies zu kommunizieren,
aufzuzeigen, plaudernd darüber zu reflektieren, zu Unsicherheiten zu stehen und
den Kopf nicht in den Sand zu stecken, genau das macht in meiner Welt Kompetenz
aus. Es schafft Vertrauen, weil es zeigt, dass ich keine Wahrheiten horte und
nicht in Weisheit gebadet bin, sondern menschlich unperfekt genau wie du und Du
und Sie. Die Grundlage meiner gesamten Arbeit.“
„Ja, aber… !“
„Wie machen Sie das, so viel Zeit darauf zu verschwenden
einer Perfektion hinterher zu hecheln, die es schlichtweg nicht gibt. Könnten
Sie mir das kurz erklären? Ich finde das faszinierend“
(Ab dem Moment nahm das Gespräch einen persönlichen Verlauf,
der nicht mehr in die Öffentlichkeit gehört.)
23.6.15
Immer noch am Thema entlang - Regeln für die Regeln:
- So wenige wie möglich, so viele wie notwendig
- Alle! Beteiligte müssen den Sinn einer Regel verstehen
und nachvollziehen können.
- Am besten stellt man die Regeln gemeinsam auf.
- Die Regeln gelten für alle Beteiligten, es sei denn,
die Ausnahmen wurden benannt, verstanden und akzeptiert.
- Regeln leben auch durch Vorbild.
- Die Konsequenzen für Regelbrüche sind offen, klar und
gemeinsam beschlossen.
- Regeln unterliegen keiner Willkür. Sie gelten nicht
heute so und morgen so. Solange sie vereinbart sind, gelten sie.
- Jeder hat jedoch jederzeit das Recht, eine Regel in
Frage zu stellen. Dann wird gemeinsam ein neuer Konsens/eine neue Regel
hergestellt.
- Ein Regelbruch
ist keine Infragestellung der Regel. Das sind zwei ganz unterschiedliche
Ebenen.
- Regeln sind kein Selbstzweck. Trotzdem geben sie, wie
Rituale, Sicherheit, Struktur und schaffen Gemeinschaft. Wenn sie denn
gemeinsam verstanden, erstellt und akzeptiert wurden.
- Offene und ehrliche Kommunikation ist die Basis
jedweder Regelei.
- Regeln sind kein Machtinstrument. Werden sie als solches
missbraucht, dann sind es keine Regeln mehr, sondern einseitig erlassene
Vorschriften.
- Regeln kann man brechen. Die Konsequenzen nimmt man
eigenverantwortlich gelassen in Kauf.
Ich weiß schon, warum ich eine Anhängerin der
SoWenigWieMöglich Fraktion war und bin.
Eine der
wichtigsten Regeln, die mein Großvater mir schenkte: Du kennst die Regeln. Du
kennst die Folgen eines Regelbruches. Wenn du die Regeln brichst, dann tue es bewusst
mit Freude und Genuss und trag die Konsequenzen ohne zu jammern.
Regeln. Ja, mein Thema heute. Bleibt ja nicht aus, wenn
man wieder ein kleines Kind im Hause hat. Es gab nicht viele Regeln, weder bei
mir zu Hause als ich klein war, noch im Zusammenleben mit meinen Kindern. Es
gab die, die unvermeidlich waren, solche wie: Bevor du mit Feuer spielst,
lernst du, wie man mit Feuer umgeht. Oder: Du gehst nur bei Grün über die
Straße und! du schaust trotzdem auch dann nach links und rechts. Dann gab es
die internen Regeln: Wir lügen uns nicht an. Wir können über alles reden, aber
lügen verletzt. Oder: Mach was und wie du willst, es ist mein Job dir zu sagen
und zu erklären, wenn und warum mir etwas nicht gefällt oder passt. Oder: Bevor
die Putzfrau kommt, wird aufgeräumt, sonst putzt sie nicht. ... Unsere Regeln
waren übersichtlich. Dann kam die Schule. Jesses. Eigentlich gab es nur drei
Regeln, die mir wichtig waren: 1. Sonntag bis Donnerstagabends geht es während
der Schulzeit um 20h ins Bett und morgens wird nicht rum gejammert. An den
anderen Abenden entscheidest du selbst. 2. Wenn du morgen nicht in die Schule
willst, dann erkläre mir warum und wir finden eine Lösung. 3. Ich finde Schule
aus vielen Gründen, so wie sie ist, furchtbar. Aber ich akzeptiere die
Schulpflicht. Also gehen wir da zusammen durch. Ich will, dass du die
Schulregeln und -pflichten kennst und du in Bezug auf die Anforderungen dein
Bestes gibst. Ich werde bei jedem Scheiß, den du in der Schule machst, hinter dir
stehen, aber! ich will niemals in einer inhaltlichen Diskussion mit den
Lehrkräften dadurch mundtot gemacht werden, weil du ne Arbeit mutwillig
versemmelt oder aus Faulheit deine Hausaufgaben nicht gemacht hast. ... ... ...
Na ja, es gab bestimmt noch die eine oder andere Regel, die ich gerade nicht
auf dem inneren Bildschirm habe. Viele waren es auf alle Fälle nicht.
16.6.15
Eine meiner ganz frühen Lebenserkenntnisse, die sich auch in all den Jahrzehnten wenig bis gar nicht verändert hat:
Mein Geschlecht darf keine Rolle spielen in Bezug auf die gesellschaftlichen Rollen, die ich spielen will und niemand hat das Recht sich anzumaßen mir vorzuschreiben, was das Beste und Natürlichste für mich aufgrund meines Geschlechtes zu sein hätte.
Mein Geschlecht darf keine Rolle spielen in Bezug auf die gesellschaftlichen Rollen, die ich spielen will und niemand hat das Recht sich anzumaßen mir vorzuschreiben, was das Beste und Natürlichste für mich aufgrund meines Geschlechtes zu sein hätte.
Unsortierte, spontane Gedanken über die Vorfälle in einer Kita
in Mainz (erhebliche Grenzüberschreitungen von 3-6 jährigen Kindern gegen
Kinder), bei denen ich das Gefühl habe, von außen, mit nur bruchstückhaften
Informationen, mir gar kein konkretes Bild machen bzw. Meinung bilden kann:
- - Wir schauen mit unseren Erwachsenenaugen auf die
Vorfälle und benennen sie mit unseren Erwachsenenbegriffen, die getränkt sind
mit unseren jeweilig eigenen Bildern, Normen und Werten.
-
Kinder haben diesen Blick und diese Sprache
nicht. Sie lernen diese erst im Laufe ihrer Sozialisation.
-
Kinder entdecken die Welt, ihren Körper, ihre
Gefühle. Dazu gehören auch das Verhältnis von Macht und Ohnmacht, von positiven
versus negativen Gefühlen, von Grenzen und Grenzsetzungen, von Zustimmung und
Ablehnung, von Ja und Nein, von erwünscht und nicht erwünscht, von angemessen
und unangemessen, von Ursache und Wirkung, und, und, und.
- - Erwachsene begleiten diese Lernprozesse
aufmerksam und achtsam. Sie sind Vorbilder und Regelmacher/Regelerklärer, sie
fördern, ermutigen und sie verbieten, sie benennen und stellen Zusammenhänge
her. Sie haben den Überblick, den Kinder noch nicht haben können, sondern erst,
durch Lernen und Erfahrungen machen, entwickeln werden.
- - Eines der für mich wichtigsten Lernziele in
Krabbel- und Kindergartengruppen: Das ist mein Körper und niemand! durchbricht die
Schranke zu meinem Körper, wenn ich das nicht will. Dieses Lernziel kann nicht
nebenbei erreicht werden, sondern verlangt durchgängige Aufmerksamkeit den einzelnen
Kindern und der Kindergruppe gegenüber. Es geht um das tausendfache tägliche Wiederholen
von „Hast du ihn gefragt, ob er das
will?“, „Willst du das?“, „Sage laut und deutlich Nein, wenn du das nicht
willst“, „Hast du das Nein gehört?“, und, und, und. Und es geht um das Vorleben
des Respekts gegenüber dieser Grenze: „Darf ich dich wickeln?“, „Möchtest du
auf meinen Arm?“… … Es ist ein feiner, zeitaufwendiger Prozess, der permanent
überprüft und reflektiert werden muss. Dafür gibt es Supervision und
Teamgespräche. Zentrale Fragen: Was lernt das Kind in dieser konkreten
Situation durch dieses und jenes Verhalten meinerseits? Was sind die unterschwelligen
Lerninhalte, die mir vielleicht gar nicht bewusst sind?
- - Kinderbegleitung ist kein Spaziergang. Die
äußeren und inneren Rahmenbedingungen müssen stimmen. Zentral: Betreuerschlüssel
und Ausbildung/Weiterbildung, Zeitkontingente für die kritisch reflektierende Arbeit
an sich und im Team, intensive kompetente Elternarbeit. (Meine Erfahrung in der
Praxis: Wir sind davon weiter entfernt denn je.)
- - In Bezug auf die Eltern: Verändert sich die
Haltung/das Verhalten meines Kindes? Kann ich sinnig nachvollziehen warum und
weshalb? Hat mein Kind körperliche Schädigungen/Auffälligkeiten? Und, und … Fordere
ich bei Zweifeln und bei Verdacht, dass irgendwas nicht stimmt, eine sofortige
und umfassende Klärung? Bringe ich mein Kind da morgen wieder hin, solange
nichts geklärt ist? Mache ich mich stark für mein Kind, auch wenn dies unbequem
ist und vielleicht materiell negative Folgen für mich hat?
Grenzüberschreitungen passieren.
Auch zwischen Kindern. Was ich nicht nachvollziehen kann, weder auf der Seite
der Bezugspersonen, noch auf der Elternseite, noch auf der Trägerseite, ist der
anscheinend so lange Zeitraum, in dem dies in Mainz einfach unbegleitet weiter
gelaufen ist. Das ist schief, absolut schief bis in die Wurzeln. Allerdings
bräuchte es viel mehr Informationen und konkrete Einblicke, um zu verstehen,
wie das passieren konnte. Moraline Empörung ist wenig hilfreich.
8.6.15
Heute beim Orthopäden gewesen und mir ne Schelle
abgeholt: "Frau Müller, Sie brauchen mehr Geduld, Geduld, Geduld. Das ist
kein Spaziergang, sondern ein komplizierter Bruch gewesen und da lässt sich nix
beschleunigen oder Sie riskieren eine erneute OP! Also, die Regel ist: max. 1
Stunde am Schreibtisch mit Bein hoch legen, dann immer min. zwei Stunden liegen
und danach 10 Minuten leichte Aufbauübungen. Krücken bleiben noch mindestens
sechs Wochen. Beide!" ... ... ... Er ist ein netter Mensch. Wirklich. Und
ja, ich halte ihn für kompetent. ... ... ... Ich könnt kotzen! ... ... ... Gibt
es irgendwo Geduld im Sonderangebot? *grummel
6.6.15

5.6.15
Der Blick

28.5.15

„Viele Eltern
glauben, sie koennten ihre Kinder zu Verschwiegenheit, Takt, Ehrlichkeit und
Vertrauen erziehen, waehrend sie sich zanken, die Kinder anluegen, ihre Briefe
durchschnueffeln und ueber ihre innersten Angelegenheiten zu anderen reden.“ (Oswald
Bumke)
Kinder lernen fast ausschließlich durch Vorbild. So
einfach ist das mit der „Erziehung“. Erziehe dich selbst, jeden Tag aufs Neue,
dann klappt das auch mit den Kindern.
24.5.15
(Auszug)

Nach vielen, vielen Jahren erst bemerkte sie die
Untermieterin. Eine alte Bekannte war wohl nie bei ihr ausgezogen. Die Warterei
trinkt heut noch ab und an Käffchen mit ihr. Sie kommt immer zu früh. Und die
anderen zu spät. Sie wartet. Ob man sie vergessen hat? Ob sie es missverstanden
hat? Tauchend nach ihrer Schuld bleiben ihre Hände immer noch leer. Sie wartet.
Schmerzhaft. Sucht in sich nach ihrem erwachsenen Zorn. Manchmal plätschert er blinzelnd
nach oben. Verläuft sich aber in fröhliche Dankbarkeit, wenn das Warten ein
Ende hat.
(im Alter von 0 bis 7
Jahre, denn danach gab es die Schlägerin nicht mehr)
16.5.15
Lebenszeichen

Wie es mir nun geht? Kann ich nicht beschreiben. Ich drücke
weg und beame mich über Bücher lesen raus aus dem realen Geschehen. Manchmal
weine ich, ohne recht zu wissen, über was eigentlich gerade. Ayda und Peter
helfen mir in Alltagssachen, meine Nachbarin kommt regelmäßig zu Besuch. Aber,
irgendwie ist das alles in meiner Wahrnehmung wie in Watte gepackt. Ja, gute
Metapher: Ich fühle mich wie in einem Kokon, innen wie außen. Lebend, ja, aber
nicht lebendig. Widerlich.
14.5.15
VatertagsGedanken: Als ich so um die neunzehn war, änderte
sich die Volljährigkeit auf 18 Jahre und das Jugendamt teilte mir höchst unsensibel
beiläufig mit, dass mein Vater in der DDR lebe und seit meiner Geburt regelmäßig
Unterhalt ans Amt überwiesen habe. Von Seiten meiner Familie hatte ich bis dato
nur schwammige Auskünfte alá „Den gibt es nicht, und überhaupt, lass die
Fragerei.“ Der nicht vorhandene Vater war von klein auf für mich die
Projektionsfläche all meiner kindlich verquerten Sehnsüchte und sporadischen Errettungsphantasien
gewesen. Jetzt gab es ihn auf einmal wirklich. Als Reaktion auf diese neuen
Informationen habe ich meine Mutter und meinen Großvater erstmal schreiend rund
gemacht und bin nach Italien abgehauen. Von dort aus habe ich die aktuelle
Adresse meines Vaters herausgefunden und ihm geschrieben. Was ein Akt. Und bin
dann zu ihm gefahren. Viele Gespräche mit ihm, meinen Großeltern dort, seiner
Frau, meinen sechs Halbgeschwistern. Alles liebe, freundliche Menschen. Das
Angebot dort zu bleiben nach reiflicher Überlegung mit folgendem Resümee abgelehnt:
Zeugung alleine macht noch keinen Vater und Blutsbande keine Familie und
Tochtergefühle kamen bei mir nicht mehr auf.
Heute: Der nicht anwesende Vater war prägend, ob ich will
oder nicht. Kein anderer Mann im begleitenden Familienverbund und auch nicht
der Erzeuger konnten dieses schwarze Loch jemals füllen.
10.5.15
So ganz richtig kann ich mir, die ich Mitte der fünfziger
Jahre hier geboren wurde und aufgewachsen und alt geworden bin ohne jemals in
meiner Heimat von Krieg, Gewalt, Hunger und totaler Hoffnungslosigkeit bedroht
worden zu sein, gar nicht ein Szenario vorstellen, ich mein, so richtig
vorstellen, dass mich um des Überlebens willen dazu zwänge mich mit meinen
Kindern auf eine Reise zu begeben, deren Ausgang vielleicht auch der Tod sein
könnte. Welch unsäglicher Schrecken und Wahnsinn müsste um mich drum herum
herrschen, dass ich denken könnte, die klitzekleine Chance des Überlebens auf
der Flucht sei doch noch größer, als die Möglichkeit in meiner Heimat zu
überleben. Welch abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit müsste in mir toben. Allein
die Vorstellung macht mir ein innerliches Zittern. Und doch, ja, ich würde nach
jedem Strohhalm greifen. Für meine Kinder. Ja, das würde ich.
Man muss mutig sein, wenn man der/die sein will,
der/die man ist.
"Das ist eigentlich das Schrecklichste, was ich später
aus diesem Leben mitnehmen werde: Dass es dafür immer noch und schon wieder Mut!
braucht."
"Frau Müller, da Sie ja nicht vorhaben uns in den
nächsten Tagen zu verlassen, könnten Sie doch etwas hoffnungsvoller
klingen!"

„Aber, aber, Frau Müller, es gibt doch auch andere Strömungen
und viele, viele Menschen weltweit, die die Schubladereien hinter sich gelassen
haben!“
„Ja, die gibt es. Aber, sie wandern auf dünnem Eis und
sind bisher nicht in der Tiefe der Gesellschaften verwurzelt. Das sind so zarte
Pflänzchen. So zerbrechlich und fragil. Halten sie die kommenden Stürme von Gewalt
und giergeifernder Zerstörungswut denn stand?“
„Ach, das klingt mir viel zu negativ, Frau Müller.“
„Soll es aber eigentlich nicht. Nur realistischer als
noch vor Jahren. Und die Schlussfolgerung ist ja auch nicht aufzugeben, sondern
gemeinsam noch intensiver mit Herzblut zu düngen und zu gießen, auf dass aus
den kleinen Pflänzchen starke und wehrhafte Pflanzen werden.“

Und ich heute? Wenn ich
das Geblümel rundum sehe am heutigen Tag, dann denk ich an die Mütter mit ihren
Kindern, die wir elendig und schamlos im Mittelmeer verrecken lassen. Ne, tut
mir leid, in diesem Gedenktag verstecken sich mir zu viele widerliche Lügen.
Kann ich nix mit anfangen.
5.5.15
„Ich arbeite so viel, denn mein Kind soll es später mal
besser haben als ich es hatte!“
„Ja, das verstehe ich. Du arbeitest jetzt so viel und so
viele Stunden, damit es dem kleinen Kerl später Mal besser geht, als es dir als
kleines Kind erginge.“
„Ja, genau deshalb!“
„Erzähl mir von dem kleinen Kind, dem es damals so gar
nicht gut ging.“
„Wir waren sehr arm und hatten nur eine kleine Wohnung.
Mein Vater hat drüben in der Fabrik gearbeitet und meine Mutter ging putzen.
Sonst hätte es nicht gereicht. Ich war dann oft alleine zu Hause und wenn meine
Eltern da waren, dann waren sie meistens müde und erschöpft. Es gab auch oft
Streit. Ich habe mich dann ganz tief unterm Bett versteckt und leise geweint.
Es ging mir nicht gut“
„Es ging dem kleinen Kind nicht gut. Was denkst du denn,
was hätte es sich denn mehr als alles in der Welt gewünscht? Was hätte ihm denn geholfen glücklicher zu sein?“
„Ach, das ist ganz einfach: Mehr Zeit mit den Eltern. Mehr
zusammen spielen und lachen. Geschichten erzählen, mittags ab und an zusammen
essen, spazieren gehen. Einfach viel, viel mehr Zeit zusammen sein.“
„Ja, das verstehe ich. Und du arbeitest jetzt so viel und
so viele Stunden, damit es dem kleinen Kerl später Mal besser geht, als es dir
als kleines Kind erginge.“
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